Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbandsauflösung. Tarifbindung. Verbandsauflösung beendet nicht automatisch Tarifbindung
Leitsatz (amtlich)
1 Die Tarifgebundenheit besteht, solange der Tarifvertrag existiert (§ 3 Abs. 3 TVG).
2. Tarifvertrag und Tarifbindung enden nicht notwendig mit der Verbandsauflösung.
3. Die Annahme einer Gesetzeslücke, die zudem allein vom Gesetzgeber auszufüllen sei, kann in diesem Fall entgegen der ständ. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht überzeugen.
4. In Übereinstimmung mit einer gewichtigen Gegenmeinung in der Fachliteratur ist der Fall der Verbandsauflösung stattdessen im Ergebnis wie der Fall des Verbandsaustritts zu behandeln.
5. Aus Gründen der Rechtssicherungs- und Ordnungsfunktion der Tarifvertragsparteien hat daher der sich selbst auflösende Verband noch bestehende Tarife zu kündigen, ggf. auch außerordentlich.
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 18.07.2000; Aktenzeichen 25 Ca 59/00) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 18. Juli 2000 – 25 Ca 59/00 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, auf welcher tariflicher Grundlage die Arbeitsvergütung des Klägers abzurechnen ist, insbesondere darüber, welche Auswirkung die Selbstauflösung der tarifvertragschließenden Innung auf den bis dahin anwendbaren Tarifvertrag hat.
Der Kläger, der von Beruf Heizungsbauer ist, ist seit Mai 1987 bei der Beklagten, einem in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Handwerksbetrieb, beschäftigt.
Die Innung Heizungs- und Klimatechnik Hamburg, deren Mitglied die Beklagte gewesen ist, hat sich durch Beschluß der Mitgliederversammlung zum 30. Juni 1999 aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt rechnete die Beklagte die Arbeitsvergütung des Klägers auf der Grundlage des Lohntarifvertrags für die Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik sowie den Rohrleitungsbau (Industrie und Handwerk) ab, der auf Arbeitgeberseite vom Industrieverband Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik Hamburg e.V. und von der Innung Heizungs- und Klimatechnik Hamburg unterzeichnet worden war, zuletzt am 10. November 1997 (mit Wirkung ab 1. März 1997 – vgl. Bl. 22–25 d. A.). Auf Arbeitnehmerseite war Tarifvertragspartei die Industriegewerkschaft Metall, deren Mitglied der Kläger ist.
Zwischen den Parteien besteht Einigkeit über die Anwendbarkeit des genannten Tarifvertrags kraft Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Zeitpunkt der Selbstauflösung der Innung Heizungs- und Klimatechnik.
Mit Schreiben vom 29. Juli 1999 wandte sich die Beklagte wie folgt an die Belegschaft (Bl. 17 d.A.):
Innungswechsel
Sehr geehrte Mitarbeiter,
hiermit teilen wir Ihnen mit, dass es aufgrund der Änderung der Handwerksordnung zur Auflösung der Innung … zum 30.06.1999 gekommen ist.
Damit endet automatisch die Tarifbindung für die Tarifverträge … mit dem 30.06.1999.
Die Auflösung hatte zur Folge, dass sich die (Beklagte) einen neuen Verband suchen musste. Wir sind deshalb dem Fachverband … beigetreten.
Infolge dieses Verbandswechsels haben die aktuellen Tarifverträge dieses Verbandes nunmehr Gültigkeit, so dass wir diese ab dem 01.08.1999 auf die Arbeitsverhältnisse anwenden werden.
Mit Geltung dieser Tarifverträge verbleibt es bei der 37-Stunden-Woche.
Ihren bisherigen Lohn werden wir freiwillig der Höhe nach in veränderter Form weiterzahlen.
Über Einzelheiten werden wir Sie noch informieren.
Mit freundlichen Grüßen
…
Folgerichtig rechnet die Beklagte den Lohn des Klägers seit dem 1. August 1999 nach dem von der Sanitärinnung Hamburg abgeschlossenen Lohntarifvertrag ab. Das hat jedoch für den Kläger unstreitig folgende einschneidende Konsequenz: Für August 1999 hätte er (bei 156 Arbeitsstunden) und für September 1999 (bei 164 Arbeitsstunden) ein um insgesamt DM 230,40 brutto höheres Entgelt zu beanspruchen, wenn weiterhin der Lohntarifvertrag der Innung Heizungs- und Klimatechnik anwendbar (gewesen) wäre.
Mit seiner am 25. Februar 2000 eingegangenen Klage macht der Kläger diesen Unterschiedsbetrag für die Monate August und September 1999 geltend. Außergerichtlich erfolgte die Geltendmachung bereits mit Schreiben vom 19. November 1999 (Bl. 5–6 d. A.). Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 26. November 1999 ab (Bl. 7 d.A.).
Der Kläger ist der Auffassung, die Verbandsauflösung und der Eintritt der Beklagten in den Fachverband Sanitär-Heizung-Klempner und in die Sanitärinnung habe eine Tarifkonkurrenz zur Folge gehabt. Der bisherige Tarifvertrag gehe als spezielle Norm den Tarifverträgen des Fachverbands Sanitär-Heizung-Klempner vor. Zudem fehle es auch an einer anderen Abmachung im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 230,40 brutto nebst 4% Zinsen seit dem 29. Februar 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, der Tarifvertrag der Innung Heizungs- und Klimatechnik Hamburg sei nicht mehr anw...