Leitsatz (amtlich)
Beendigung der Nachwirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages gegenüber Außenseitern.
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 13.01.1999; Aktenzeichen 12 Ca 263/98) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 13. Januar 1999 – 12 Ca 263/98 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung von tariflichem Urlaubsgeld und tariflicher Sonderzuwendung für 1997 und 1998 und in diesem Zusammenhang über die Nachwirkung des für allgemeinverbindlich erklärten einschlägigen Manteltarifvertrages. Der Kläger war nicht tarifgebunden.
Die Beklagte betreibt einen Einzelhandel mit Lederwaren und Accessoires mit insgesamt 6 Geschäften, davon 4 in Hamburg und je eines in Wedel und auf Sylt. Der Kläger ist seit 1.1.1996 bei der Beklagten als Verkäufer in Hamburg tätig.
Bis einschließlich 1996 wurde von der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel vom 18. Juni 1993 (im Folgenden: MTV alt) zur Anwendung gebracht. Dieser Tarifvertrag, der durch Erklärung vom 15. Februar 1994 für allgemeinverbindlich erklärt worden war, wurde fristgemäß zum 31. Dezember 1996 gekündigt. In der Folgezeit wurde zwischen den Tarifvertragsparteien einige Zeit nach Ablauf des MTV alt, nämlich am 08. August 1997, ein neuer Manteltarifvertrag (im Folgenden: MTV neu) abgeschlossen, der in § 22 Folgendes regelt:
- „Dieser Manteltarifvertrag tritt mit dem 01. Januar 1998 in Kraft.
- Der Manteltarifvertrag vom 18. Juni 1993 sowie der Tarifvertrag zur Umsetzung des geänderten Ladenschlussgesetzes vom 27. September 1996 treten zum 31. Dezember 1997 außer Kraft.
- Der Tarifvertrag kann von jeder Vertragspartei mit einer Frist von 6 Monaten – frühesten zum 31. Dezember 1999 – gekündigt werden.
Bis zum Inkrafttreten eines neuen Tarifvertrages gelten die Rechtsnormen des alten Tarifvertrages weiter.
…”
Nach § 11 des MTV alt erhalten die Beschäftigten ein Urlaubsgeld ab dem 01. Januar 1996 in Höhe von 55 % des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruches des letzten Berufsjahres der Verkäufer/innengruppe (Gehaltstarifvertrag, Gruppe 2a) des jeweils am 01. Januar des Jahres gültigen Vertrages. Gemäß § 12 MTV alt erhalten die Beschäftigten, die am 01. Dezember eines jeden Jahres dem Betrieb/Unternehmen mindestens 12 Monate ununterbrochen angehört haben, eine tarifliche Sonderzuwendung, die ab dem 01. Januar 1996 60 % des jeweils den Anspruchsberechtigten nach ihrer tariflichen Eingruppierung im Auszahlungsmonat zustehenden regelmäßigen Tarifentgelts beträgt. Die Sonderzuwendung muss nach der tariflichen Regelung spätestens am 30. November des laufenden Jahres zur Auszahlung kommen.
Nach dem MTV neu haben die Tarifvertragsparteien das Urlaubsgeld von zuletzt 55 % auf 50 % des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruchs ermäßigt und die tarifliche Sonderzuwendung von bisher 60 % des Tarifentgelts auf 62,5 % erhöht. Der MTV neu ist bisher nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Der Kläger hat geltend gemacht, er könne trotz der zum 31. Dezember 1996 erfolgten Kündigung des MTV alt auch für die Folgezeit Urlaubsgeld und Sonderzuwendung nach Maßgabe dieses Tarifvertrages beanspruchen, denn dieser Tarifvertrag gelte seitdem für ihr Arbeitsverhältnis gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkend weiter. Diese Nachwirkung sei auch nicht durch den MTV neu vom 08. August 1997 beendet worden.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 4.054,00 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag aus DM 2.276,40 brutto ab 01. Dezember 1997 und aus DM 1.776,60 brutto ab 01. April 1998 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere DM 1.776,60 brutto nebst 4% Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 13. Oktober 1998 sowie am 30. November 1998 weitere DM 2.276,40 brutto nebst 4% Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Dezember 1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht:
Entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der ihr folgenden Literatur wirkten allgemeinverbindliche Tarifvertragsnormen nicht gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach. Da gemäß § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages mit dessen Ablauf ende, die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG jedoch erst nach Ablauf des Tarifvertrages beginne, könne die Allgemeinverbindlichkeit auch nicht Grundlage der erst nach ihrer Beendigung einsetzende Nachwirkung sein. Das Bundesarbeitsgericht habe bei seiner gegenteiligen Rechtsprechung diesen Verstoß gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut vollständig übersehen. Das Auslegungsergebnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne auch nicht mit Sinn und Zweck der gesetzlichen Anordnung der Nachwirkung, nämlich der Überbrückung tarifloser Zustände, gerechtfertigt werden...