Entscheidungsstichwort (Thema)

Auflösungsantrag. Tendenzschutz. Chefredakteur

 

Leitsatz (amtlich)

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem § 9 KSchG kann bei einem Chefredakteur nicht allein auf die Tatsache gestützt werden, dass der Tendenzschutz die Auflösung gebiete.

Die Auflösung ist nur gerechtfertigt, wenn objektive Verstöße gegen die Vorgaben des Tendenzbetriebes vorliegen. Allein Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung einer Zeitschrift reichen nicht aus.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, § 14 Abs. 2, § 9 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Urteil vom 16.04.2004; Aktenzeichen 17 Ca 594/03)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 16. April 2004 – 17 Ca 594/03 – wird zurückgewiesen.

Der Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner am 12. Dezember 2003 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen eine fristgemäße Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte mit Schreiben vom 28. November 2003.

Der zum Zeitpunkt der Klagerhebung 46 Jahre alte Kläger ist seit dem 1. Januar 1998 als Chefredakteur der Zeitschrift P. beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zunächst der Arbeitsvertrag vom 16. Dezember 1997 (Anlage K 1, BI. 4 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 15. Mai 2001 bestätigte die Beklagte eine Vereinbarung mit dem Kläger, die eine Veränderung der Regelung über die Kündigungsfrist enthielt und mit der das Jahresbruttogehalt des Klägers auf 550.000,00 DM festgesetzt wurde. Zusätzlich erhöhte sich das variable Einkommen des Klägers auf maximal 250.000,00 DM.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2002 wurde dem Kläger eine Tantieme für das Jahr 2001 in Höhe von 112.319,00 Euro bestätigt (BI. 13 d.A.). Mit Schreiben vom 22. Juli 2003 wurde dem Kläger eine Tantieme für das Jahr 2002 in Höhe von 112.385,00 Euro bestätigt (BI. 15 d.A.).

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 30 Stunden, ohne die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Der Kläger ist direkt dem Verleger unterstellt. Dem Kläger nachgeordnet sind etwa 27 fest angestellte Arbeitnehmer der Zeitschrift P., und er steuert den Einsatz einer Vielzahl freier Mitarbeiter.

Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Zwischen den Parteien bestehen Unstimmigkeiten über insgesamt drei Vorfälle, welche die Beklagte zum Gegenstand ihrer späteren Kündigung macht. Der Kläger soll das in der Budgetplanung für den Seitenpreis der Zeitschrift P. vorgegebene Limit wiederholt überschritten haben. Er soll, entgegen einer Reisekostenrichtlinie der Beklagten statt Economy-Class dreimal Business-Class geflogen sein und sich unberechtigt geweigert haben, die jeweils entstandene Differenz der Beklagten zu erstatten. Schließlich soll der Kläger eine Bewerbung für die Position Art Direction der Chefredaktion der Zeitschrift F. der Beklagten abgeworben haben. Eine Abmahnung wurde dem Kläger wegen keiner dieser Vorfälle erteilt.

Mit Schreiben vom 28. November 2003 (BI. 27 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich unter Berücksichtigung einer Kündigungsfrist von 12 Monaten zum 30. November 2004.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung der Beklagten sei unwirksam. Die Vorwürfe der Beklagten seien unberechtigt und hätten zuvor abgemahnt werden müssen.

An der Festlegung des Seitenpreises der Zeitschrift P. sei er nicht beteiligt gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe es eine strenge Vorgabe und gar Weisung gegeben, den vorgegebenen durchschnittlichen Seitenpreis nicht zu überschreiten. Dass dem so sein solle, habe er erstmals am 12. Dezember 2003 erfahren. Den Seitenpreis streng einzuhalten sei unrealistisch, weil der Preis von Faktoren abhänge, die teilweise nicht seinem Einfluss unterlägen. So etwa die von der Beklagten vorgegebene Steigerung des kostenintensiven Modeteils der Zeitschrift, von der Beklagten beschlossene Personalmaßnahmen und nachgemeldete Anzeigen, die den Seitenpreis nachträglich steigerten.

Der Kläger habe den durchschnittlichen Seitenpreis des von ihm betreuten Objekts seit Beginn seiner Tätigkeit kontinuierlich gesenkt, nämlich von 2.300,00 DM im Geschäftsjahr 1998 auf 910,00 Euro im Geschäftsjahr 2003. Mit Ausnahme der Geschäftsjahre 1998 und 2002 habe der erreichte durchschnittliche Seitenpreis stets unter dem vorgegebenen durchschnittlichen Seitenpreis gelegen (vgl. Aufstellung BI. 70 ff. d.A.).

Auch gegen die Reisekostenrichtlinie der Beklagten habe er nicht verstoßen, weil sie für ihn nicht gelte, soweit danach ausschließlich Economy- und nicht Business-Class-Flüge zu buchen seien. Im Sommer 2001 habe ihm der Geschäftsführer der Beklagten anlässlich einer Gehaltserhöhung zugesagt, dass er künftig für Geschäftsreisen Business-Class-Flüge buchen dürfe. Er sei auch nicht aufgefordert worden, die Differenz zwischen Business- und Economy-Class seines N.-Fluges zu erstatten. Er nehme insoweit...

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