Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB. Indizien und Umstandsmomente für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Widerspruchsrecht des Beschäftigten nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB kann verwirkt werden, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausgeübt werden kann. Es muss nur so lange gelten, wie es für die effektive und verhältnismäßige Sanktionierung eines Unterrichtungsfehlers nach § 613 Abs. 5 BGB geboten ist.
2. Die bloße Weiterarbeit nach dem Betriebsübergang bildet für sich keinen vertrauenswürdigen Umstand, dass der Beschäftigte sein Widerspruchsrecht nicht ausüben will. Es können aber ungeachtet dessen weitere Umstandsmomente hinzutreten, die eine Verwirkung des Widerspruchsrechts begründen, zum Beispiel die Übernahme besonderer Pflichten und Aufgaben nach der Betriebssicherheitsverordnung und die Akzeptanz eines neuen Entgeltsystems beim Betriebserwerber wie auch ein langer Zeitraum von mehreren Jahren bis zur Ausübung des (vermeintlichen) Widerspruchsrechts.
Normenkette
BGB §§ 242, 613a Abs. 2 S. 2, Abs. 5-6
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.04.2016; Aktenzeichen 17 Ca 437/15) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. April 2016 (17 Ca 437/15) abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war bei der Beklagten bis Dezember 2005 in der Service-Niederlassung Verbund-Instandhaltung in Hamburg tätig. Zum 1. Januar 2006 wurden operative technische Dienstleistungen aus der D. AG zusammen mit dem hier tätigen Personal und den notwendigen Betriebsmitteln zur D1 GmbH verlagert. Hierzu vereinbarten der Konzern D. AG und der bei diesem gebildete Konzernbetriebsrat am 16. November 2005 eine Konzernbetriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan.
Die Beklagte unterrichtete den Kläger als einen von etwa 600 betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über die Verlagerung mit Schreiben vom 14. November 2005 (Anlage B 1, Bl. 39 d. A.) und 5. Dezember 2005 (Anlage K1, Bl. 4 d.A.). In beiden Schreiben wurde die D1 GmbH ohne Anschrift, ohne Angabe des Sitzes und des zuständigen Gerichts sowie ohne Registernummer und ohne Geschäftsführer genannt. In Bezug auf die Haftungsfolgen wurde im Schreiben vom 14. November 2005 die eingeschränkte Haftung der Beklagten gemäß § 613 a Abs. 2 S. 2 BGB für Forderungen, die erst nach Betriebsübergang fällig werden, nicht erwähnt. Im Ergänzungsschreiben finden sich hierüber ebenfalls keine Angaben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Schreiben Bezug genommen.
Der Kläger setzte das Arbeitsverhältnis bei der D1 GmbH fort. Unter dem 23. Februar 2006 bestätigte der Kläger durch Unterschrift, die Feststellungsvermerke Besitzstand und Eingruppierung von der Erwerberin erhalten zu haben. Er stellte bei der Betriebsübernehmerin seine Urlaubsanträge und nahm bei ihr von 2008 bis 2013 an fünf verschiedenen Lehrgängen teil. Mit Schreiben vom 24. August 2010 erklärte der Kläger gegenüber der Betriebsübernehmerin, keine Nebentätigkeit auszuüben, und mit Schreiben vom 19. April 2010 erklärte er ihr gegenüber, über die Mitführungs- und Vorlagepflicht der Ausweispapiere nach § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz belehrt worden zu sein. Am 4. Oktober 2011 gab der Kläger ihr gegenüber eine Verpflichtungserklärung zur Wahrung des Postgeheimnisses, des Fernmeldegeheimnisses und des Datengeheimnisses ab. Der Kläger erklärte ihr am 17. Juni 2009 ferner schriftlich die Zustimmung zur Bestellung zur "Befähigten Person". Wegen der Einzelheiten der jeweiligen Erklärungen wird die der Klagerwiderung in Kopie beigefügten Schreiben verwiesen (Bl. 46 bis 56 d.A.).
Mit Schreiben vom 1. September 2014 (Anlage zur Klage, Bl. 6 d. A.) widersprach der Kläger dem zum 1. Januar 2006 erfolgten Betriebsübergang unter Hinweis auf die unzureichende Belehrung über die Identität der Übernehmerin und die wirtschaftlichen Folgen für den Kläger. Dieses Schreiben ging bei der Beklagten am 3. September 2015 ein.
Zum 1. Februar 2013 wurde die D1 GmbH in C. GmbH umfirmiert.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Unterrichtung am 14. November 2005 fehlerhaft gewesen sei, weil die übernehmende Firma nicht genau genug bezeichnet worden sei. Es seien weder die konkrete Anschrift noch die Vertretungsverhältnisse angegeben worden. Auch die Information über die Haftung fehlerhaft gewesen. Daher habe die Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechtes nicht zu laufen begonnen. Die Möglichkeit des Widerspruchs sei nicht verwirkt. Der Kläger habe nicht über sein Arbeitsverhältnis disponiert.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zu unveränderten Bedingungen über de...