Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Beschlussfassung des Betriebsrats bei unterlassener Ladung von Ersatzmitgliedern und fehlenden Darlegungen des Betriebsratsvorsitzenden zur pflichtwidrigen Abwesenheit geladener Amtsträger

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine wesentliche Voraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses ist die Ladung aller Betriebsratsmitglieder einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 BetrVG. Wird für ein zeitweilig verhindertes Mitglied ein vorhandenes Ersatzmitglied nicht geladen, ist der Betriebsrat an einer wirksamen Beschlussfassung gehindert.

2. Beschlüsse des Betriebsrats können normalerweise nur in der gemäß § 9 BetrVG vorgegebenen Regelbesetzung gefasst werden. Nehmen an Betriebsratssitzungen bei einer Regelbesetzung von neun jeweils nur sieben Betriebsratsmitglieder teil, kann der Betriebsrat keine wirksamen Beschlüsse fassen.

3. Eine zeitweilige Verhinderung eines Betriebsratsmitgliedes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG liegt immer dann vor, wenn das Mitglied aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die anstehenden Amtsgeschäfte wahrzunehmen. Im Einzelfall können die Voraussetzungen auch dann erfüllt sein, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied im Betrieb unabkömmlich ist, weil die von ihm geschuldete Arbeitsleistung unbedingt sofort erbracht werden muss (etwa im Interesse wartender Kunden oder zur Behebung eines Notfalls).

4. Liegt ein Interessenkonflikt zwischen Amts- und Arbeitspflicht vor, hat das betroffene Betriebsratsmitglied unter Wahrung der von ihm eingegangenen Verpflichtung zur gewissenhaften Amtsführung darüber zu entscheiden, welchen Pflichten es den Vorrang einräumt: Entscheidet es sich dafür, die Arbeit zu erbringen, ist sodann vom Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen des § 29 Abs. 2 Satz 6 BetrVG regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verhinderungsfall gegeben ist. Nur wenn Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Entscheidung des jeweiligen Betriebsratsmitgliedes vorliegen, kann Veranlassung bestehen, den angegebenen Hinderungsgrund nachzuprüfen und erforderlichenfalls auf die Ladung eines Ersatzmitgliedes zu verzichten.

5. Im Beschlussverfahren hat der Betriebsratsvorsitzende darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte ihm für ein pflichtwidriges Verhalten der beiden von ihm geladenen Amtsträger vorgelegen haben, die ihn dazu veranlasst haben, darauf zu verzichten, die kurzfristige Ladung anderer vorhandener Ersatzmitglieder zu versuchen, und statt dessen die Sitzung nur mit sieben statt mit neun Betriebsratsmitgliedern abzuhalten.

 

Normenkette

BetrVG § 25 Abs. 1 S. 2, § 29 Abs. 2 S. 6, § 9

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 20.07.2017; Aktenzeichen 1 BV 51/17)

 

Tenor

Die Beschwerden des Betriebsrats und des Antragstellers I gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 20.07.2017 - 1 BV 51/17 - werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten um den Ersatz der Kosten für die Teilnahme des Betriebsratsvorsitzenden I an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung.

Die Arbeitgeberin produziert mit aktuell 343 Arbeitnehmern Bad- und Sanitäreinrichtungen. Im Betrieb besteht ein neunköpfiger Betriebsrat, dessen Vorsitzender der (Mit-) Antragsteller I ist.

Dieser nahm in der Zeit vom 14. bis 19.05.2017 an einer von der IG Metall Bildungszentrum Beverungen abgehaltenen Schulung mit dem Thema "Änderungen der Arbeitsorganisation in KMU" teil. Als Seminarthemen wurden u.a. angegeben: "gesetzliche Bestimmungen, u.a. §§ 81, 90, 91, 111 BetrVG". Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird verwiesen auf die Anlage zum Antragstellerschriftsatz vom 20.06.2017 (Bl. 37 d. A,).

Mit Rechnung Nr. 12345, gerichtet an "I, J c/o C GmbH & Co. KG", machte der Bildungsträger für die Übernachtung, Verpflegung und Seminarkosten insgesamt einen Betrag in Höhe von 1.575,50 € geltend (Bl. 35 d. A.). Daneben verlangt der Betriebsratsvorsitzende als Fahrtkosten einen Betrag in Höhe von 42,30 €.

Der Schulung vorangegangen waren zwei Betriebsratssitzungen vom 16.03. und 06.04.2017.

In der ersten Sitzung am 16.03.2017 wurde u.a. die Teilnahme des Betriebsratsvorsitzenden I an der genannten Schulung beschlossen, und zwar einstimmig bei sieben anwesenden Betriebsratsmitgliedern. Für das erkrankte Betriebsratsmitglied C1 war das Ersatzmitglied M geladen worden. Nach vorangegangener telefonischer Unterrichtung nahm dieses ebenso wenig wie das Betriebsratsmitglied I1 an der Sitzung teil. In der Anwesenheitsliste steht in beiden Fällen unter Bemerkung: "Ist am Arbeitsplatz". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 08.12.2017 (Bl. 177 ff. d. A.).

In der zweiten Sitzung am 06.04.2017 wurde in Anwesenheit von erneut sieben Betriebsratsmitgliedern einstimmig beschlossen, im Falle fortdauernder Weigerung, die Kosten zu übernehmen, gerichtlich gegen die Arbeitgeberin vorzugehen. Zu dieser Sitzung war für das in Kur befi...

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