Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Betriebsratswahl. Wahlberechtigung und Wählbarkeit von leitenden Angestellten. Berichtigung des Wahlausschreibens. ordnungsgemäße Beschlussfassung des Wahlvorstands für Berichtigung. Vollständigkeit der Wählerliste. Zulässigkeit einer Briefwahl. Benachteiligung einer Vorschlagsliste durch Arbeitgeber. Beeinflussung des Wahlergebnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Teilnahme von nicht wahlberechtigten oder wählbaren Arbeitnehmern an einer Betriebsratswahl kann die Anfechtbarkeit der Wahl begründen.

2. Die Berechtigung zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern nach § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG muss sich nicht nur auf die selbstständige Einstellung von Arbeitnehmern beziehen, sondern auch auf die Entlassung von Arbeitnehmern. Eine der beiden Befugnisse reicht zur Annahme eines leitenden Angestellten nicht aus.

3. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte.

4. Die generelle Zulassung einer Briefwahl ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 WO kann grundsätzlich die Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl begründen. Eine Betriebsratswahl ist unwirksam, wenn sie für alle Arbeitnehmer als Briefwahl durchgeführt wird, ohne dass die Voraussetzungen des § 24 WO erfüllt sind.

 

Normenkette

BetrVG § 5 Abs. 3, §§ 7-8, 18a, 19-20; WO § 3 Abs. 2, 4, § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 15, 24 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Beschluss vom 14.12.2006; Aktenzeichen 1 BV 31/06)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 14.12.2006 – 1 BV 31/06 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die Arbeitgeberin, die Beteiligte zu 22), ist ein Logistik-Unternehmen mit ca. 1.300 Arbeitnehmern. Sie ist zuständig für Dienstleistungen durch Zustellung der Zeitung „N1 W5” sowie weiterer Auftraggeber. Zum 01.06.2005 ist die Arbeitgeberin aus der „N4 W7” ausgegliedert und rechtlich verselbstständigt worden.

Bereits vor dieser Ausgliederung haben die Zeitungszusteller aufgrund eines entsprechenden Tarifvertrages einen eigenen Betriebsrat gewählt.

Zur Vorbereitung der turnusmäßigen Betriebsratswahlen 2006 wurde vom amtierenden Betriebsrat ein fünfköpfiger Wahlvorstand bestellt. Wahlvorstandsvorsitzende war die als Zeugin benannte Mitarbeiterin C2 S9. Auf die Protokolle der Wahlvorstandssitzungen vom 22.08.2005 (Bl. 218 ff. d.A.), vom 31.10.2005 (Bl. 227 ff. d.A.) und vom 06.01.2006 (Bl. 230 ff. d.A.) wird Bezug genommen.

Im Sitzungsprotokoll vom 06.01.2006 (Bl. 230 ff. d.A.) ist u.a. folgendes festgehalten:

„…

Top 3. Beschlussfassung über Einleitung der Wahl

Der Wahlvorstand fasste einstimmig in offener Abstimmung den Beschluss die Betriebsratswahl mit dem Aushang des Wahlausschreibens, am 16.01.2006 um 12 Uhr, einzuleiten.

Top 4. Beschlussfassung über Inhalt des Wahlausschreibens

Der Wahlvorstand fasste einstimmig, in offener Abstimmung den Beschluss, dass das Wahlausschreiben (siehe Anlage) so ordnungsgemäß ist und ausgehangen wird.

…”

In dem Wahlausschreiben vom 12.01.2006 (Bl. 169 ff. d.A.) war für die am 13.03.2006 vorgesehene Wahl des Betriebsrates, der aus 15 Mitgliedern bestand, unter Ziffer 5 die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) vorgesehen. Die Wahlunterlagen sollten allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rechtzeitig und unaufgefordert zugehen. Die Frist für die Einsprüche gegen die Richtigkeit der Wählerliste und für die Einreichung von Wahlvorschlägen war auf den 30.01.2006, 18.30 Uhr, festgesetzt worden.

Das Wahlausschreiben vom 12.01.2006 wurde an alle Geschäftsstellen der Arbeitgeberin sowie an sämtliche Mitarbeiter versandt.

Am 16.01.2006 wurde das Wahlausschreiben vom 12.01.2006 wegen der unzutreffenden Fristen für die Einsprüche gegen die Wählerliste und für die Einreichung von Vorschlagslisten berichtigt. Als neue Frist wurde in dem berichtigten Wahlausschreiben vom 12.01.2006 (Bl. 15 ff. d.A.) der 26.01.2006, 18.30 Uhr, festgelegt.

Auch das berichtigte Wahlausschreiben wurde an alle Geschäftsstellen zwecks Aushangs weitergegeben und an alle Mitarbeiter per Post versandt.

Die Beschwerdekammer hat zu diesem Punkt die damalige Wahlvorstandsvorsitzende, die als Zeugin benannte Mitarbeiterin C2 S9, im Anhörungstermin vom 07.09.2007 hierzu informatorisch angehört. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 07.09.2007 (Bl. 504 ff. d.A.) Bezug genommen.

Auf der Wählerliste für die am 13.03.2006 vorgesehene Betriebsratswahl waren u.a. auch 11 sogenannte Außendienstmitarbeiter, die die Zustellbezirke mit jeweils etwa 100 Zustellern leiteten, als wahlberechtigte Ar...

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