Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit/Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Aushang, Auslegung der Wählerliste. Wahl eines neuen Betriebsrats trotz Bestehen eines (noch) im Amt befindlichen Betriebsrats
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Wählerliste zur Betriebsratswahl entgegen § 2 Abs. 4 WOBetrVG nicht zur Einsichtnahme ausgelegt, ausgehängt oder in sonstiger Weise bekannt gemacht, so führt dieser Verstoß nicht zur Nichtigkeit, sondern begründet lediglich die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl.
2. Die Verkennung der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer nach § 7 BetrVG und eine etwaige daraus resultierende Rüge der Wahl einer unrichtigen Anzahl von Betriebsratsmitgliedern nach § 9 BetrVG führt nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl, sondern allenfalls zu deren Anfechtbarkeit.
3. Ein offensichtlicher und grober und damit zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führender Verstoß gegen Wahlvorschriften liegt vor, wenn während der Amtszeit eines ordnungsgemäß gewählten Betriebsrats für denselben Betrieb oder Betriebsteil ohne begründeten Anlass ein weiterer Betriebsrat gewählt wird.
Normenkette
BetrVG § 19; WO § 2 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Beschluss vom 07.02.2007; Aktenzeichen 6 BV 26/06) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 7 ABN 83/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.02.2007 – 6 BV 26/06 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von zwei Betriebsratswahlen.
Die antragstellende Arbeitgeberin, die Beteiligte zu 1., unterhält in R1-W1 ein Unternehmen der Textilindustrie, in dem sie Kunststoffextrusionsprodukte herstellt. Im Betrieb, in dem zwischen 35 und 40 Mitarbeiter beschäftigt sind, war ein Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitzender Herr B9 war.
Im Rahmen der turnusmäßigen Betriebsratswahlen erließ der bestellte Wahlvorstand am 23.02.2006 ein Wahlausschreiben (Bl. 27 f.d.A.), wonach am 14.03.2006 eine Betriebsratswahl stattfinden sollte.
Der Wahlvorstand ließ sich daraufhin von der Arbeitgeberin eine Personalliste (Bl. 29 f.d.A.) zur Erstellung der Wählerliste geben.
Ein Abdruck der Wählerliste wurde im Betrieb vom Wahlvorstand zu keinem Zeitpunkt ausgehängt, ausgelegt oder sonst wie bekannt gemacht.
Die Unterschriften am rechten Rand auf der Personalliste wurden von den jeweiligen Arbeitnehmern bei der Stimmabgabe am 14.03.2006 hinzugesetzt. Von wem und unter welchen Umständen die Vermerke „Geschäftsführer” bzw. „leitender Angestellter” auf die Liste kamen, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Auf der Personalliste befand sich der Arbeitnehmer R3, der zum Zeitpunkt der Wahl am 14.03.2006 sich bereits in der Freistellungsphase eines verblockten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses befand. Ebenso befand sich auf der Liste ein Herr K4, der als Auszubildender im Betrieb der Arbeitgeberin tätig war. Zum Zeitpunkt der Wahl befand er sich wegen eines auswärtigen theoretischen Unterrichtsblocks nicht im Betrieb. Der Wahlvorstand sandte ihm keine Briefwahlunterlagen zu.
Die auf der Personalliste als leitende Angestellte bezeichneten Mitarbeiter N5 und B10 sind weder zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt. Sie haben auch im Verhältnis zur Arbeitgeberin keine bedeutende Prokura. Auch bei den vorangegangenen Betriebsratswahlen waren sie nicht als leitende Angestellte eingeordnet, da sie zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb noch nicht angehörten. Ihr jährliches Bruttoeinkommen liegt nicht oberhalb des dreifachen der jährlichen Bezugsgrenze des § 18 SGB IV (derzeit 28.980,00 EUR). Die Leitungsebene beschränkt sich in diesem Betrieb auf die Geschäftsführung.
Handschriftlich wurden auf der Personalliste als Arbeitnehmer Frau und Herr D2 hinzugefügt. Ob sie wahlberechtigt waren, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Bei der Betriebsratswahl am 14.03.2006 wurden 30 Stimmen abgegeben, zwei hiervon von den Eheleuten D2.
Die am gleichen Tag stattfindende Stimmauszählung ergab folgendes Wahlergebnis, welches anschließend bekannt gemacht wurde:
„S4, N4 18 Stimmen
B9, R2 14 Stimmen
C1, H3-J. 13 Stimmen
T3, R4 8 Stimmen
Y2, Y1 8 Stimmen
B11, M5 5 Stimmen”
Der aus den Mitgliedern S4, B9 und C1 bestehende Betriebsrat konstituierte sich sodann und wählte Herrn S4 zum Betriebsratsvorsitzenden.
In den folgenden Tagen wurde innerbetrieblich über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 14.03.2006 diskutiert. Insbesondere wegen des Umstands, dass eine Wählerliste zu keinem Zeitpunkt ausgehängt worden ist, erklärten sich zunächst die Betriebsratsmitglieder B9 und C1 bereit, einen Auflösungsbeschluss des Betriebsrats zu fassen. Der gewählte Betriebsratsvorsitzende S4 war hierzu zunächst nicht bereit.
Am 27.03.2006 kam es zu einem Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Arbeitgeberein, Herrn B1, und dem Betriebsratsvorsitzenden, Herrn S4. In diesem wurde dem Betriebsratsvorsitzenden noch einmal erläutert, dass das Wahlverfahren durch den Wahlvorstand nicht korrekt durch...