Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Vertrauensperson. Mitglied. Schwerbehindertenvertretung. Zustimmung. Zuständigkeit. Betriebsrat
Leitsatz (amtlich)
Die außerordentliche Kündigung des Mitglieds einer Schwerbehindertenvertretung bedarf der Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung und nicht des Betriebsrates.
Normenkette
SGB IX § 96 Abs. 3 S. 1; BetrVG § 103
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Beschluss vom 07.07.2010; Aktenzeichen 5 BV 29/09) |
Tenor
Auf die Beschwerden des Betriebsrats und der Arbeitnehmerin S1 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 07.07.2010 – 5 BV 29/09 – abgeändert:
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
A.
Der Arbeitgeber begehrt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung der zu 3) beteiligten Arbeitnehmerin S1.
Die am 28.05.1955 geborene Arbeitnehmerin S1 ist verheiratet und mit einem Grad von 50 % schwerbehindert. Seit dem 01.01.1997 ist sie für den Arbeitgeber tätig, zuletzt in dem von diesem betriebenen Seniorenzentrum G1. Sie kam dort als Helferin im Sozialen Dienst zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.052,87 EUR zum Einsatz.
Die Arbeitnehmerin S1 war bis zu der im Oktober 2010 stattgefundenen Neuwahl der Schwerbehindertenvertretung als Vertrauensperson deren Mitglied. Seit Frühjahr 2010 gehört sie zudem dem im Betrieb neu gewählten Betriebsrat an.
Am 23.07.2009 kaufte die Arbeitnehmerin S1 für die bettlägerige, schwerstpflegebedürftige Heimbewohnerin K3, die eine Betreuerin hat, insgesamt sechs Gegenstände im Gesamtwert von 34,– EUR, und zwar eine Badebürste (2,45 EUR), esprit celeb. man AS 50 ml (8,45 EUR), Maroussia Edt 15 ml (4,95 EUR), Nonchalance Edl 30 ml (6,25 EUR), UdV elle GoldIssime Edp 30 ml (6,95 EUR) und Frosch Oase Raumerfrischer V (4,95 EUR).
Bei ihrer Rückkehr erhielt die Arbeitnehmerin gegen Vorlage des Kassenbons von der Wohnbereichsleiterin K5 den Gesamtbetrag ausgezahlt; damit wurde das Verwahrgeldkonto der Bewohnerin K3 belastet.
Am 30.07.2009 erfolgte von der Verwaltungsmitarbeiterin W1-K2 anhand des in der Wirtschaftskasse abgelegten Kassenbelegs eine Überprüfung, ob sich die Gegenstände bei der Bewohnerin befanden. Die Suche blieb zunächst erfolglos. Schließlich wurden vier der sechs Artikel in einer grünen Tasche gefunden, die im Büro des Sozialen Dienstes offen neben einem Schrank stand.
Es fehlten das Parfum UdV elle GoldIssime und der Frosch Oase Raumerfrischer. Die Arbeitnehmerin S1 erklärte dazu, diese müssten sich noch in ihrem Auto befinden, das an diesem Tag ihr Ehemann nutzte.
Am 31.07.2009 brachte sie dann beide Artikel mit in den Betrieb. Dort wurde mit ihr durch den Einrichtungsleiter S2 in Gegenwart des Betriebsratsmitgliedes H2 und der Verwaltungsmitarbeiterin W1-K2 ein Personalgespräch geführt. Hinsichtlich des Inhalts dieses Gesprächs wird verwiesen auf das mit Antragsschriftsatz vom 25.08.2009 eingereichte Anhörungsprotokoll (Bl. 31 d.A.).
Am 03.08.2009 beantragte der Arbeitgeber beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, die am 19.08.2009 – inzwischen rechtskräftig – erteilt wurde (Bl. 32 d.A.).
Am 20.08.2009 beantragte dann der Arbeitgeber beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. In der Begründung führte er u.a. aus:
…
Als Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen unterliegt Frau S1 dem Kündigungsschutz gem. § 96 III SGB IX.
…
Im Rahmen ≪der≫ einer Anhörung vom 31.07.2009 unter Beteiligung des Betriebsrates (Protokoll anbei) konnte Frau S1 weder die Menge der gekauften Waren noch deren Bedarf erklären. Ein Auftrag zum Einkauf wurde Frau S1 nicht erteilt. In der Anhörung hat sie einen solchen Auftrag auch nicht behauptet. Auch konnte nicht geklärt werden, warum die Waren nicht innerhalb einer Woche in den Besitz der Bewohnerin übergegangen waren.
Der Nachweis des kompletten Warenkaufs gelang nur nach Aufforderung und mit zeitlicher Verzögerung.
Nach dem dargestellten Sachverhalt gehen wir davon aus, – es besteht zumindest der Verdacht –, dass sich Frau S1 die Waren auf Kosten der Bewohnerin für ihren eigenen Gebrauch beschafft hat.
Bestärkt wird die Bewertung durch die Aussage von Frau S1 vor dem Integrationsamt. Sie hat dort ausgeführt, dass die Anschaffung mehrerer Parfums im Zusammenhang mit in der Betreuung stattfindender Stimulation nötig gewesen wäre.
Tatsächlich ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für eine solche Stimulation.
Es finden sich keinerlei Einträge von Frau S1 in der Pflegedokumentation von Frau K3, die eine olfaktorische Stimulation mit Dufttüchern belegen würden.
Auch in der individuellen Pflegeplanung ist eine solche Maßnahme nicht beschrieben.
Der Kauf wäre auch nicht nötig gewesen, da Einkäufe üblicherweise von Frau W2 nach Absprache mit der Betreuerin von Frau K3 durchgeführt werden und die Bewohnerin selbst in ihrer Nachttischschublade noch über eine nahezu unangebrochene volle Flasche Parfum der Marke Nonchalance verfügt.”
Am 21.08.2009 nahm der Betrie...