Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung der Prozesskostenhilfe wegen Nichtbenutzung des vorgeschriebenen Vordrucks bei fortbestehender Bedürftigkeit aufgrund des Bezuges von ALG II oder Sozialhilfe
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn nach § 120a Abs. 4 Satz 1 ZPO ein Vordruckzwang besteht, kann ausnahmsweise bei offensichtlich fortbestehender Bedürftigkeit aufgrund des durch Vorlage des entsprechenden Bescheides nachgewiesenen Bezuges von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe auf die Verwendung des Vordrucks für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verzichtet werden (ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 19. Februar 2015, 10 Ta 228/15, [...].)
Normenkette
ZPO § 120a Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 16.07.2015; Aktenzeichen 2 Ca 202/14) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 16. Juli 2015 (2 Ca 202/14) aufgehoben.
Es verbleibt bei der durch Beschluss vom 26. Mai 2014 bewilligten Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Dem Kläger wurde auf seinen Antrag vom 30. Januar 2014 hin durch Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 26. Mai 2014 Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung für die erste Instanz unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. Der Bewilligung lag zugrunde, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt bereits Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für sich und seine Ehefrau bezog.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2015, welches seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Juni 2015 zugestellt wurde, forderte das Arbeitsgericht den Kläger zur Abgabe einer erneuten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Verwendung des amtlichen Vordrucks bis zum 3. Juli 2015 vergeblich auf. Durch die hier angefochtene Entscheidung hob es daraufhin die bewilligte Prozesskostenhilfe auf.
Der Aufhebungsbeschluss wurde am 16. Juli 2015 zugestellt. Mit der am 27. Juli 2015 eingelegten Beschwerde legte der Kläger einen Bescheid des Jobcenter Kreis Paderborn vom 7. Mai 2015 über den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juni 2015 bis 29. Februar 2016 sowie einen Mietvertrag vor und teilte darüber hinaus mit, dass er weiterhin nicht über Vermögen verfügt, ebenso wenig über ein Kraftfahrzeug, Beteiligungen oder Forderungen. Auf den erneuten Hinweis des Arbeitsgerichts auf den nach § 120a Abs. 4 ZPO bestehenden Vordruckzwang im Nachprüfungsverfahren reagierte der Kläger ebenso wenig wie auf den entsprechenden Hinweis des Beschwerdegerichts.
II. Die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Entgegen der noch im Schreiben des Beschwerdegerichts vom 8. September 2015 geäußerten Rechtsauffassung rechtfertigt die Verletzung des Vordruckzwangs in § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO es im vorliegenden Fall eines nachgewiesenen Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II allein nicht, die bewilligte Prozesskostenhilfe aufzuheben.
1. Auch wenn nach § 120a Abs. 4 Satz 1 ZPO ein Vordruckzwang besteht, kann ausnahmsweise bei offensichtlich fortbestehender Bedürftigkeit auf die Verwendung des Vordrucks verzichtet werden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, 19. Februar 2015, 10 Ta 228/15, [...], Ls. 2). Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet auch in arbeits- bzw. zivilrechtlichen Streitigkeiten nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf allerdings einer normativen Ausgestaltung durch die jeweilige Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber Regelungen treffen, die besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich dadurch für den Rechtssuchenden einschränkend auswirken. Solche Einschränkungen müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den einzelnen Rechtssuchenden nicht unverhältnismäßig belasten (vgl. BVerfG, 3. Juli 2001, 2 BvR 1008/01, NJW-RR 2002, 135, LAG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rn. 13). Bei einer offensichtlich weiter bestehenden Bedürftigkeit der Partei wäre es sachlich nicht gerechtfertigt, wenn das Gericht wegen eines Formfehlers durch die Nichterfüllung des Vordruckzwanges diese Bedürftigkeit ignoriert (vgl. Berlin-Brandenburg, 19. Februar 2015, 10 Ta 228/15, [...], Rn. 14).
Die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung wegen einer Missachtung des Vordruckzwanges nach § 117 Abs. 4 ZPO ist dabei anders zu beurteilen als die Nichtverwendung des amtlichen Formulars im Nachprüfungsverfahren entgegen § 120a Abs. 4 Satz 1 ZPO. Im Bewilligungsverfahren geht es darum, überhaupt einen Prozess führen zu können bzw. den Anwalt ...