Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretbarkeit eines "Sozialplans 0". Wirksamkeit eines sogenannten Sozialplans 0 trotz wirtschaftlicher Bedenken. "Sozialplan 0" kein Sozialplan im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne. "Sozialplan 0" nicht erzwingbar
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist ermessensfehlerfrei, wenn durch Spruch der Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans bei festgestellten wirtschaftlichen Nachteilen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer trotz vorgetragener erheblicher Bedenken zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit der beabsichtigten Regelung kein undotierter Sozialplan (sog. "Sozialplan 0") beschlossen wird.
2. Ein "Sozialplan 0" stellt bereits tatbestandlich keinen Sozialplan i.S.d. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG dar und ist daher mit der vom Gesetzgeber in § 112 Abs. 4 BetrVG festgeschriebenen Erzwingbarkeit von Sozialplänen nicht vereinbar.
Normenkette
BetrVG § 76 Abs. 5, § 112 Abs. 1, 4-5, § 111; InsO § 123; ZPO § 77 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 02.03.2021; Aktenzeichen 2 BV 1/20) |
Tenor
- Die Beschwerde der Arbeitgeberinnen gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 02.03.2021, 2 BV 1/20, wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle zur Aufstellung eines Sozialplanes.
Die antragstellenden Beteiligten zu 1. und 2. unterhielten bis zum 30.04.2019 in A einen Gemeinschaftsbetrieb mit zuletzt mindestens 276 Arbeitnehmern, wobei mindestens 12 bei der Beteiligten zu 1. und die übrigen Arbeitnehmer bei der Beteiligten zu 2. beschäftigt waren. Der Beteiligte zu 3. ist der für den Gemeinschaftsbetrieb der Arbeitgeberinnen in A gebildete Betriebsrat. Wegen einer von den Beteiligten zu 1. und 2. arbeitsgerichtlich betriebenen Auflösung des Betriebsrates ist ein Rechtsbeschwerdeverfahren beim Bundesarbeitsgericht zum Az. 7 ABR 21/21 anhängig.
Die Beteiligten zu 1. und 2. waren als Automobilzulieferer tätig. Die Beteiligte zu 2. unterhielt zudem einen Gemeinschaftsbetrieb in B zusammen mit einer Tochtergesellschaft, der C Automotive A GmbH (C L & B). Sämtliche Betriebe sind zum 30.04.2019 stillgelegt.
Beim Arbeitsgericht Iserlohn wie auch beim Landesarbeitsgericht Hamm waren mehrere hundert Kündigungsschutzverfahren anhängig, in denen sämtlichst die Rechtswirksamkeit der wegen der genannten Betriebsstilllegung ausgesprochenen Kündigungen rechtskräftig festgestellt worden ist. Hintergrund der Betriebsschließung war im Wesentlichen eine Anweisung der Konzernobergesellschaft, der C Automotive Systems LLC mit Sitz in den D im April 2018. In der Folgezeit nahmen die Beteiligten zu 1. und 2. sowie der Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich auf, deren Scheitern durch Beschluss vom 05.10.2018 im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens festgestellt wurde.
Die im Gemeinschaftsbetrieb in A beschäftigten Arbeitnehmer der Beteiligten zu 1. konnten mit anderen Gesellschaften/einer anderen Gesellschaft der C-Unternehmensgruppe bis auf zwei Arbeitnehmer neue, unbefristete Arbeitsverhältnisse unter Anrechnung bisheriger Betriebszugehörigkeit eingehen.
Die wirtschaftliche Situation der Beteiligten zu 2. stellt sich wie folgt dar:
Bis zum 31.12.2015 bestand zwischen der Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 2. ein Ergebnisabführungsvertrag, der letztmalig für das Kalenderjahr 2015 bedient wurde. Vor Entscheidung zur Stilllegung der genannten Betriebe scheiterten Versuche, die Tochtergesellschaft der Beteiligten zu 2., die C L & B, zu sanieren. Ein weiteres Problem entstand durch einen Großbrand im Jahre 2017, durch den zwei bedeutende Produktionsanlagen zerstört worden.
Seit dem 23.04.2018 gab es für die Beteiligte zu 2. von der englischen Konzerngesellschaft, der C Automotive Holdings U.K. Ltd. mit Sitz in E, eine "Liquiditätszusage" für eine insolvenzvermeidende Betriebsstilllegung der Beteiligten zu 2. Diese wurde unter dem 16.10.2018 sowie unter dem 11.03.2020 verlängert und ist nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1. und 2. mittlerweile ausgelaufen. Die Liquiditätszusage vom 16.10.2018 (Kopie Bl. 204 ff. d. A) nannte einen Höchstbetrag von vier Millionen Euro und beschrieb darüber hinaus auf deren Seite 5 unter Ziffer 3, dass bei Feststellung eines höheren Liquiditätsbedarfs bis zum 31.12.2019 eine Pflicht zur Verhandlung nach "Treu und Glauben" über eine Erweiterung dieser Liquiditätszusage mit dem Zweck der Insolvenzvermeidung der Gesellschaft bestehe. Darüber hinaus ist auf Seite 6 der Liquiditätszusage vom 16.10.2018 (Bl. 209 d. A.) unter der dortigen Ziffer 4 beschrieben, dass die Liquiditätszusage ausdrücklich nicht für etwaige Liquiditätslücken der Gesellschaft gilt, die im Zusammenhang mit Leistungen für einen wie auch immer gearteten Sozialplan stünden. Bei der Bestimmung von Liquiditätslücken würden etwaige Sozialplanansprüche ausdrücklich nicht berücksichtigt.
Am 06.11.2018 nahmen die Beteiligten Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans...