Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung. Wahl. Betriebsrat. Wahlvorstand. Herausgabe. Unterlagen. Wählerliste. Betrieb. Begriff. gemeinsamer Betrieb. mehrere Unternehmen. Zuordnungstarifvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber hat dem Wahlvorstand auch dann die notwendigen Auskünfte für die Erstellung der Wählerliste zu erteilen, wenn eine anfechtbare Betriebsratswahl droht.
Normenkette
BetrVG §§ 1, 3; WO § 2 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Beschluss vom 04.03.2010; Aktenzeichen 1 BVGa 2/10) |
ArbG Dortmund (Aktenzeichen 1 BV 64/09) |
Nachgehend
BAG (Aktenzeichen 7 ABN 63/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Wahlvorstandes wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 04.03.2010 – 1 BVGa 2/10 – abgeändert.
Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, an den Wahlvorstand eine Liste mit allen im S2 X1-Markt in 56789 K5, M4 S7. 56, beschäftigten Arbeitnehmern einschließlich etwaiger Leiharbeitnehmer unter Angabe der Familien- und Vornamen, des Geburts- und Eintrittsdatums sowie des Geschlechts herauszugeben.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens anlässlich des vom Wahlvorstand geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung von Auskünften zur Anfertigung der Wählerliste schwerpunktmäßig um die Frage des Bestehens eines gemeinsamen Betriebs zweier Unternehmen.
Für das Unternehmen der Firma A1 S2 (im Folgenden kurz: Fa. S2) wurde, gestützt auf § 3 BetrVG, im Jahre 1995 ein sog. Zuordnungstarifvertrag geschlossen. Auf dessen Grundlage kam es im Bezirk 123 S1 im Jahre 2007 erstmals zur Wahl eines Betriebsrates.
Nach insoweit übereinstimmender Auffassung sind dem genannten Bezirk für die anstehende Neuwahl nach derzeitigem Stand 27 Verkaufsstellen mit insgesamt 107 Arbeitnehmern zuzuordnen.
Die vormals zum Bezirk gehörende Verkaufsstelle in K5 wurde von der Fa. S2 am 28.01.2009 geschlossen. Die Räumlichkeiten mietete sodann die Fa. S2 X1 GmbH (im Folgenden kurz: Fa. S2 X1) an und eröffnete dort eine Filiale. In neuen Regalen wird jetzt ein Warensortiment von ca. 12.000 Artikeln angeboten – im Vergleich zu ca. 4.000 Artikeln zuvor bei der Fa. S2. Es arbeiten dort aktuell fünf Arbeitnehmerinnen, wovon eine zuvor bereits bei der Fa. S2 tätig war.
Die Fa. S2 X1, deren alleiniger Gesellschafter A1 S2 ist, wurde im Dezember 2008 gegründet. Die Geschäftsführerin B4 war davor Geschäftsführerin der Tochtergesellschaft der Fa. S2 in Ö1. Beide Firmen haben ihren Sitz in E1, T1 23-34, und verfügen über identische Telefon- einschließlich der Nebenanschlüsse.
Die Geschäftsführerin der Fa. S2 X1 ist dort mit zwei Sachbearbeitern tätig und verwaltet die Personalakten von aktuell zwischen 1.500 und 2.100 Arbeitnehmern – bei ca. 300 Märkten mit jeweils fünf bis sieben Mitarbeitern. Weiterhin gibt es – hierarchisch gegliedert – vier Verkaufsleiter, ca. 17 Regionalleiter und die jeweiligen Verkaufsverantwortlichen in den Filialen. Zur Regelung personeller Einzelmaßnahmen sind die nicht über eigene Büros verfügenden Regional- und ggf. Verkaufsleiter berufen; zu diesem Zweck werden ihnen erforderlichenfalls Aktenauszüge von E1 übermittelt. Die Dienstpläne vor Ort in den Märkten erstellen die Verkaufsverantwortlichen.
Die Fa. S2 unterhält in der Zentrale in E1 eine Personalabteilung mit ca. 20 Mitarbeitern. Daneben gibt es eine Lohnbuchhaltung, die die diesbezüglichen Aufgaben für die Fa. S2 X1 miterledigt. Für diese erbringt auch die aus ca. 20 Arbeitnehmern bestehende Immobilienabteilung der Fa. S2 Dienstleistungen.
Der Wahlvorstand hat die Ansicht vertreten, entsprechend seinem Beschluss vom 18.02.2010 habe er zur Erstellung der Wählerliste gegenüber der Fa. S2 X1 einen Anspruch auf Überlassung der erforderlichen Daten der fünf Arbeitnehmerinnen, die im Markt in K5 tätig seien. Die Unternehmen S2 und S2 X1 würden nämlich im Bezirk S1 einen Gemeinschaftsbetrieb betreiben.
Verteilt auf das gesamte Bundesgebiet verfolgten sie mit einem gemeinsam verwendeten Schriftzug (Logo) ein einheitliches Gesamtkonzept zum Absatz von Drogerieartikeln; dabei würden verkaufsschwache Verkaufsstellen der Fa. S2 durch neu eröffnete Märkte der Fa. S2 X1 ersetzt. Hintergrund dafür sei u.a., schlechtere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter der Fa. S2 X1 durchzusetzen.
Letztlich sei zu beachten, dass im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens im Vorfeld der bevorstehenden Betriebsratswahl der Beschluss des Wahlvorstandes nur auf seine Nichtigkeit überprüft werden könne. Eine Verkennung des Betriebsbegriffs, weder was die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes noch was die Zuordnung von K5 zum Bezirk 123 S1 angehe, führe aber zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit der getroffenen Entscheidung.
Soweit hier noch von Interesse, hat der Wahlvorstand beantragt,
die Beteiligte zu 3) zu verpflichten, dem Beteiligten zu 1) die zur Erstellung einer Wählerliste zur Betriebsratswahl erforderlichen Auskünfte über die Arbeitnehmer zu erteilen, die bei der Beteiligten zu 3) in dem S2 X1-Markt in der M4 ...