Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamer Verzicht auf Sozialplanabfindung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Verzicht auf einen Sozialplananspruch ist gem. § 77 Abs. 4 S. 3 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam. Für die nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG erforderliche Zustimmung gelten die §§ 182 ff. BGB. Die Zustimmung kann vorher als Einwilligung (§ 183 BGB) oder nachträglich als Genehmigung (§ 184 BGB) erteilt werden. Formvorschriften bestehen insoweit nicht. Der Betriebsrat muss aber unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er mit dem Verzicht einverstanden ist. Die Zustimmung setzt einen ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats gem. § 33 BetrVG voraus. Eine Zustimmung kann grundsätzlich nur jeweils für den einzelnen konkreten Verzicht des Arbeitnehmers erteilt werden.

2. Eine generelle Einwilligung des Betriebsrats in den Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung würde den Gehalt der Norm verändern. Dies können die Parteien nur gemeinsam, sei es durch eine – bestimmte Abweichungen gestattende – Öffnungsklausel, sei es durch eine nachträgliche Änderung der Betriebsvereinbarung. Dagegen ist die einseitige Abänderung des Inhalts einer Betriebsvereinbarung durch eine Betriebspartei nicht möglich. Fehlt die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats, ist ein vom Arbeitnehmer gleichwohl erklärter Verzicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB unwirksam.

 

Normenkette

BetrVG §§ 112, 77; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Urteil vom 28.09.2010; Aktenzeichen 2 Ca 3386/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.10.2013; Aktenzeichen 1 AZR 405/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 28.09.2010 – 2 Ca 3386/09 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 145.536,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.03.2008 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert die Differenz zwischen dem nach der „Betriebsvereinbarung Restrukturierung Werk B3” vom 14.04.2005 berechneten Abfindungsbetrag von 395.536,24 EUR und dem Abfindungsbetrag von 250.000,– EUR, welcher ihr auf der Grundlage einer Vereinbarung in einem dreiseitigen Vertrag vom 07.12.2005 ausgezahlt worden ist

Die Klägerin ist am 27.09.1955 geboren. Seit dem 01.08.1973 stand sie in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten. Das Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 5.512,27 EUR.

Am 08.12.2004 vereinbarten die Beklagte und der von den Betriebsräten der Standorte R1, B3, K1 und dem Testzentrum D1 bevollmächtigte Gesamtbetriebsrat die „Betriebsvereinbarung 2004/0123/A – Restrukturierung” (Bl. 13-18, fortan BV 2004). Dort heißt es auszugsweise:

In den bisherigen Verhandlungen ist die Geschäftsleitung davon ausgegangen, dass etwa 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden müssen.

Nach dem augenblicklichen Verhandlungsstand geht die Geschäftsleitung davon aus, dass ein Arbeitsplatzabbau von etwa 6.500 Arbeitsplätzen (inklusive Powertrain) bei einem Spin-Off/Outsourcing-Volumen von weiteren ca. 2.000 Arbeitsplätzen möglicherweise die angestrebten Ziele erreichen lassen könnte.

Der Gesamtbetriebsrat ist demgegenüber der Überzeugung, dass der von der Geschäftsleitung geplante Arbeitsplatzabbau weiter zu verhandeln und möglicherweise zu reduzieren und eine Garantie des Bestandes der Werke gegenüber den Arbeitnehmern abzugeben ist.

Ungeachtet dieser nach wie vor kontroversen und nur in der Zielführung übereinstimmenden Überlegung sollen ab sofort sozialverträgliche Maßnahmen durchgeführt werden, nämlich der Abschluss von Vorruhestandsverträgen und Aufhebungsvereinbarungen sowie die Etablierung von Transfergesellschaften nach Maßgabe der nachfolgenden Regelungen.

Sie beabsichtigen, bis zum 01.02.2005 zu einer endgültigen Einigung zu gelangen und bestellen hiermit bereits vorsorglich für den Fall, dass diese nicht bis zum genannten Zeitpunkt erzielt werden kann, eine Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Richters am Landesarbeitsgericht R3, und vier Beisitzern auf jeder Seite. Die Einigungsstelle soll in diesem Fall unverzüglich nach dem 01.02.2005 ihre Tätigkeit aufnehmen.

III. Die bereits jetzt durchführbaren sozialverträglichen Maßnahmen bestehen in Folgendem, wobei Einvernehmen darüber besteht, dass von dem Geltungsbereich dieser Maßnahmen folgende Gruppen ausgenommen sind:

  • Auszubildende;
  • Mitarbeiter mit einem befristeten Arbeitsvertrag;
  • Mitarbeiter, die sich bereits in Altersteilzeit befinden oder bereits einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen haben;
  • Mitarbeiter, die einen Anspruch auf Gewährung einer vorzeitigen Altersrente geltend machen könnten und
  • Mitarbeiter, die sich zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Betriebsvereinbarung in einem bereits gekündigten Arbeitsverhältnis befinden.

1. Den Mitarbeitern der Jahrgänge 1946 und älter werden Verträge über den vorgezogenen Altersaustritt (Vorruhestand) nach den Konditionen der Betriebsvereinbarung Nr. 251 (einschließlich erf...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge