Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeitkonto. Ausschlussfrist, Beweislast. Bezugnahmeklausel. Darlegungslast. doppelte Schriftformklausel. Guthaben. Mehrarbeit. Überstunden. Tarifvertrag. Teilverweisung. Verwender. Berufung auf Unwirksamkeit von Klauseln im Arbeitsvertrag durch Arbeitgeber. Darlegungslast zu Überstunden bei Arbeitszeitkonto. Konkurrenz zwischen Arbeitsvertrag und Tarifvertrag bei Bezugnahmeklausel
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber kann sich als Verwender des Formulararbeitsvertrages nicht auf eine etwaige Unwirksamkeit der doppelten Schriftformklausel nach § 307 Abs. 1 BGB berufen und bleibt wie bei einer entsprechenden Individualvereinbarung an das von ihm selbst vorgegebene Schriftformerfordernis gebunden.
2. Für die Schlüssigkeit einer Klage, die auf Ausgleich des Guthabens auf einem Arbeitszeitkonto gerichtet ist, genügt es, dass der Arbeitnehmer die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Guthaben zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt darlegt.
3. Darüber hinaus bedarf es nicht der Darlegung, dass über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden auf Anordnung oder mit Duldung und Billigung des Arbeitgebers geleistet worden sind.
4. Bei einer Bezugnahmeklausel in einem Formulararbeitsvertrag, in der vereinbart wird, dass die Bestimmungen eines Tarifvertrages "ergänzend" gelten sollen, verdrängt der Arbeitsvertrag insgesamt mit seinen Einzelregelungen entsprechende inhaltliche Regelungen im Tarifvertrag.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herford (Entscheidung vom 24.10.2012; Aktenzeichen 2 Ca 380/12) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgericht Herford vom 24. Oktober 2012 (2 Ca 380/12) abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.357,28 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Mai 2012 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 8,5 %, die Beklagte zu 91,5 %. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Vergütung für geleistete Arbeit.
Die Beklagte betreibt mehrere Textileinzelhandelsgeschäfte. Die Klägerin wurde zum 1. Juni 2007 als "Bürofachkraft" unbefristet eingestellt. Grundlage war ein schriftlicher, von der Beklagten gestellter Formulararbeitsvertrag vom 28. April 2007, der unter anderem folgende Regelungen enthielt:
§ 7 Arbeitszeit
Die Arbeitszeit ist flexibel und richtet sich nach der betriebsüblichen Zeit. Vereinbart werden monatlich 163 Stunden ohne die Berücksichtigung von Pausen. Mehr- bzw. Minderstunden werde über ein Zeitkonto abgerechnet. Bei Austritt aus dem Unternehmen wird der Saldo mit dem durchschnittlichen Stundenlohn verrechnet. Arbeitsbeginn und Arbeitsende richten sich nach der jeweiligen Personaleinsatzplanung. Die Firma ist berechtigt, aus dringenden betrieblichen Erfordernissen eine Änderung der Arbeitszeiteinteilung vorzunehmen. ...
§ 12 Tarifvertrag
Ergänzend gelten die Regelungen des Tarifvertrages für den Einzelhandel in NRW in seiner jeweils geltenden Fassung.
§ 13 Ausschlussklausel
Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis müssen innerhalb eines Monats nach Zugang der letzten Gehaltsabrechnung geltend gemacht werden; anderenfalls sind sie verwirkt.
§ 14 Nebenabreden
Nebenabreden und Änderungen des Vertrages bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der Schriftform. Dieses Formerfordernis kann weder mündlich noch stillschweigend aufgehoben oder außer Kraft gesetzt werden. Eine etwaige Ungültigkeit einzelner Vertragsbestimmungen berührt die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ablichtung des Vertrags (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29. Juni 2012, Bl. 64 ff. d. A.) verwiesen. Unter dem 22. Februar 2008 vereinbarten die Parteien einen "Nachtrag 1" zum vorgenannten Vertrag (vgl. Anlage zum Protokoll der Sitzung vom 2. Juli 2013, Bl. 230 d. A.). Neben einer Änderung der Kündigungsfrist vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin ab dem 1. März 2008 2.750,00 Euro brutto und ab dem 1. Januar 2009 3.000,00 Euro brutto erhalten sollte, alle anderen Vereinbarungen aus dem Arbeitsvertrag vom 28. April 2007 blieben unverändert bestehen.
Mit einem an alle Mitarbeiter gerichteten Schreiben vom 13. November 2008 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29. Juni 2012, Bl. 86 f. d. A.) bat die Beklagte unter Darlegung der aus ihrer Sicht dafür bestehenden Gründe auch die Klägerin um die Zustimmung zu einer Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit und einer Kürzung des Urlaubs um zwei Werktage. Die Klägerin unterzeichnete daraufhin den diesem Schreiben beigefügten Formulararbeitsvertrag, der vom Wortlaut im Wesentlichen identisch mit dem ursprünglichen Arbeitsvertrag war. Gemäß § 1 Abs. 1 des neuen Arbeitsvertrages ersetzt dieser mit Wirkung zum 1. Januar 2009 den Arbeitsvertrag vom 28. April 2007 sowie den Nachtrag vom 22. Februar 2008. Darüber hinaus wurde nunmehr eine monatliche Arbeitszeit von 173 ...