Entscheidungsstichwort (Thema)

Reisekosten. Klassenfahrt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 23 IV TV-L hat die angestellte Lehrkraft im nordrhein-westfälischen Schuldienst bei Durchführung einer genehmigten Klassenfahrt Anspruch auf Erstattung ihrer Reisekosten nach dem Landesreisekostengesetz (LRKG NW).

2. Auch wenn § 3 VIII LRKG NW grundsätzlich einen schriftlichen Verzicht des Bediensteten auf Reisekostenerstattung zulässt, kann es dem Land wegen unzulässiger Rechtsausübung verwehrt sein, sich auf eine eingeholte Verzichtserklärung zu berufen.

3. Das ist der Fall, wenn die Verzichtserklärung unter Verletzung der dem Bediensteten geschuldeten Fürsorge erwirkt worden ist, indem die Genehmigung der Klassenfahrt entsprechend Nr. 3.3 der Wanderrichtlinien (WRL) davon abhängig gemacht worden ist, dass die Lehrkraft „zuvor schriftlich auf die Zahlung der Reisekosten verzichtet”.

4. Dies gilt in gesteigertem Maß für Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer, die nach § 15 VI der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer in besonderer Weise zur Teilnahme an den Fahrten ihrer Klasse angehalten sind („im Regelfall”). Es ist fürsorgewidrig, Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer bei der Genehmigung einer Klassenfahrt vor die Alternative zu stellen, auf begründete Ansprüche zu verzichten oder „ihre Klasse im Stich zu lassen”.

 

Normenkette

TV-L § 23; LRKG NW § 3

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Urteil vom 09.09.2010; Aktenzeichen 1 Ca 334/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.10.2012; Aktenzeichen 9 AZR 183/11)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 09.09.2010 – 1 Ca 334/10 – wird auf die Berufung der Klägerin abgeändert.

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 206,05 EUR Reisekostenerstattung nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2010 zu zahlen.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Reisekostenerstattung anlässlich der Durchführung einer Klassenfahrt nach B1 im September 2008.

Die Klägerin ist als angestellte Lehrerin bei dem beklagten Land beschäftigt. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Parteien sind aufgrund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge im öffentlichen Dienst, insbesondere den TV-L, gebunden.

Nach § 23 Abs. 4 TV-L sind für die Erstattung der Reisekosten die für die Beamtinnen und Beamten jeweils geltenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden. Nach § 3 LRKG NW besteht unter den dort beschriebenen Voraussetzungen ein Anspruch auf Reisekostenvergütung. Nach § 3 Abs. 8 des LRKG NW können Dienstreisende vor Antritt einer Dienstreise oder eines Dienstganges schriftlich erklären, dass sie keinen Antrag auf Reisekostenvergütung stellen. Eine entsprechende Erklärung kann nicht widerrufen werden.

Die Klägerin unterrichtet an der F1-W1-Gesamtschule in A1. Sie war im Schuljahr 2008/2009 Klassenlehrerin der Klasse 10.1. Mit Schreiben vom 31.08.2007 beantragte die Klägerin für diese Klasse auf dem Vordruck „Antrag auf Genehmigung von Schulwanderungen und Schulfahrten” eine Studienfahrt nach B1 im Zeitraum vom 22.09.2008 bis 26.09.2008. In dem Antragsformular war unter B. ein Antrag auf Dienstreisegenehmigung für die begleitenden Lehrkräfte enthalten. In dem Vordruck des Antrages auf Dienstreisegenehmigung ist unter B. 3. ein Verzicht auf die Zahlung von Reisekostenvergütung formuliert (Bl. 20, 21 GA):

„3. Die gem. Nr.9.1 WRL zu zahlende(n) Reisekostenvergütung(en) ist/sind durch die für unsere Schule vorgesehenen Haushaltsmittel nicht mehr gedeckt; da die Veranstaltung trotzdem durchgeführt werden soll, verzichte(n) ich/wir gem. Nr. 8.6 WRL auf die Zahlung der Reisekostenvergütung.”

Die Klägerin unterzeichnete diesen Antrag einschließlich der Erklärung B. 3.. Der Schulleiter genehmigte mit seiner Unterschrift vom 01.09.2007 den Antrag und bestätigte, dass die Reisekostenvergütung(en) durch die zu erwartenden bzw. der Schule zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nicht mehr gedeckt seien und dass die Veranstaltung trotzdem durchgeführt werden solle. Wegen der weiteren Einzelheiten zu Antrag und Genehmigung wird auf die eingereichte Kopie Bezug genommen (Bl. 20, 21 GA).

In der Zeit vom 22.09.2008 bis zum 26.09.2008 betreute die Klägerin die Fahrt ihrer Klasse 10.1 nach B1. Für die Klassenfahrt zahlte sie an den Reiseveranstalter, die Firma D1-Reisen, pauschal 210,00 EUR. Dieser Preis umfasste den Bustransport von A1 nach B1 sowie die Übernachtung und Verpflegung im Jugendhostel B1. Für den Besuch des Musicals „Mama Mia” leistete die Klägerin weitere 24,50 EUR an den Veranstalter. Insgesamt zahlte sie 234,50 EUR. Seitens der Schule wurden der Klägerin 28,45 EUR zurückerstattet. Der aus eigenen Mitteln aufgebrachten Restbetrag von 206,05 EUR ist Gegenstand der Klage.

Mit Schreiben an das „Schulamt bzw. die Bezirksregierung Dezernat 12 z. Hd. Herrn E1” vom 20.01.2009 sowie mit weiterem Schreiben vom 05.08.2009 hat die Kläg...

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