Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Arbeitsvertrages hinsichtlich der Einbeziehung von Mantel- und Mantelrahmentarifverträgen. Zulässigkeit einer sachgrundlosen Befristung über zwei Jahre hinaus
Leitsatz (redaktionell)
Es verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn der Arbeitsvertrag "auf der Grundlage der jeweils gültigen Mantel- und Mantelrahmentarifverträge" geschlossen wird, ohne dass bei mehreren eigenständigen tariflichen Regelwerken eine Kollisionsregel bestimmt wird, der sich entnehmen lässt, welches der mehreren in Bezug genommenen tariflichen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben soll. Fehlt in der Bezugnahmeklausel eine Kollisionsregel, so besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer wegen dieser Unklarheit seine Rechte nicht wahrnimmt, was das Bestimmtheitsgebot aber gerade verhindern will, so dass eine solche Bezugnahmeklausel intransparent und damit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam ist (BAG - 5 AZR 700/12 - 19.02.2014; BAG - 5 AZR 242/12 - 13.03.2013; BAG - 5 AZR 954/11 - 13.03.2013).
Normenkette
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1; TzBfG § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 11.12.2014; Aktenzeichen 6 Ca 3176/14) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.12.2014 - 6 Ca 3176/14 - abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung im Arbeitsvertrag vom 25.07.2011 in Verbindung mit der Vertragsverlängerung vom 23.06.2013 zum 26.07.2014 beendet ist.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Befristungsvereinbarung vom 25.07.2011 zum 26.07.2014.
Der 1956 geborene Kläger war vom 27.07.2011 bis zum 26.07.2014 als Wachmann ausschließlich in E zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von 1.306,- € für die Beklagte tätig, die dem Wach- und Sicherheitsgewerbe zuzuordnen ist.
Im für die Zeit vom 27.07.2011 bis zum 26.07.2012 befristeten Arbeitsvertrag vom 25.07.2011 (Bl. 22 ff. d. A.), welchen die Beklagte für eine Vielzahl von Fällen verwendet und auf den ergänzend Bezug genommen wird, heißt es:
"3. Einbeziehung von Tarifverträgen
Die Einstellung erfolgt - vorbehaltlich arbeitsvertraglicher Absprachen - auf der Grundlage der jeweils gültigen Mantel- und Mantelrahmentarifverträge für das Wach- und Sicherheitsgewerbe. Soweit anstelle eines Manteltarifvertrages ein anderer Tarifvertrag entsprechenden Inhalts besteht, gilt dieser vorbehaltlich arbeitsvertraglicher Absprachen. Nachwirkende Mantel- und Mantelrahmentarifverträge gelten - vorbehaltlich abweichender Regelungen - bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages."
Die Parteien vereinbarten Vertragsverlängerungen unter 18/19.06.2012 (Bl. 30 d. A.) bis zum 26.07.2013 und zuletzt unter dem 19/23.06.2013 (Bl. 32 d. A.) bis zum 26.07.2014.
Ab dem 01.01.2012 erstmals kündbar zum 31.12.2016 gilt der Mantelrahmentarifvertrag vom 30.08.2011 für Sicherheitsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland (Seite 1 Bl. 45 d. A.). In der Protokollnotiz 1 zu diesem Mantelrahmentarifvertrag (Bl. 46 d. A.), auf die ergänzend Bezug genommen wird, heißt es u. a.:
"A) Übergangsregelung zur Befristung von Arbeitsverträgen (§ 2 Ziffer 4. MRTV)
Sofern befristete Arbeitsverhältnisse im Sinne von § 2. Ziffer 4. MRTV vor dem 01.04.2012 begründet worden sind, gilt das Folgende:
Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von 42 Monaten zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist die höchstens viermalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. [...]"
In Nordrhein-Westfalen gilt ein Manteltarifvertrag (im folgenden MTV NRW für das Wach- und Sicherheitsgewerbe), der von den identischen Tarifvertragsparteien wie der Mantelrahmentarifvertrag für die Bundesrepublik (im folgenden MRTV für Sicherheitsleistungen) geschlossen worden ist.
Die Beklagte teilte dem Kläger am letzten Arbeitstag, also am 26.07.2014 mit, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung beendet sei.
Mit der vorliegenden Entfristungsklage, die am 12.08.2014 bei Gericht eingegangenen ist, wendet sich gegen die Wirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Befristung sei ohne Vorliegen eines Sachgrundes unwirksam, denn eine sachgrundlose Befristung sei höchstens für die Dauer von zwei Jahren zulässig. Auf den MRTV BRD für Sicherheitsdienstleistungen könne sich die Beklagte nicht berufen, weil dieser Tarifvertrag weder vereinbart worden noch allgemeinverbindlich sei. Vielmehr sei vorrangig der speziellere MTV NRW für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in der Fassung vom 01.01.2006 anzuwenden, der keine verlängerte Befristungsmöglichkeit vorsehe, da er nur wegen der Kündigungsfristen, nicht ab...