Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweistufige Ausschlussfrist. gerichtliche Geltendmachung. Tarifvertrag. tarifliche Ausschlussfrist. Annahmeverzug. Bestandsschutzrechtsstreit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine zweistufige tarifliche Ausschlussfrist, die eine Frist von zwei Monaten zur gerichtlichen Geltendmachung auch solcher Ansprüche anordnet, die – wie Ansprüche auf Annahmeverzugslohn – vom Ausgang eines Bestandsschutzrechtsstreits abhängen, verletzt das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG), da sich das Kostenrisiko des klagenden Arbeitnehmers im Bestandsschutzrechtsstreit unangemessen erhöht, wenn ihn die Obliegenheit trifft, derartige Ansprüche während des noch laufenden Bestandsschutzverfahrens einzuklagen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 01.12.2010 – 1 BvR 1682/07).
2. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang eines Bestandsschutzrechtsstreits abhängen, entfällt; vielmehr beginnt die Frist zur Geltendmachung dieser Ansprüche mit dem rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzrechtsstreits. Die tarifvertragliche Regelung ist insoweit fortzubilden bzw. ergänzend auszulegen.
Normenkette
BGB § 615; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 07.09.2010; Aktenzeichen 5 Ca 511/10) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 07.09.2010 – 5 Ca 511/10 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Nachzahlung von weiterem Arbeitsentgelt, insbesondere Ansprüche auf Zuschläge, Zulagen, Urlaubsvergütung und Urlaubsgeld sowie auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen für die Monate Oktober 2008 bis Juli 2009 gegen die Beklagte zusteht.
Der am 10.01.1964 geborene Kläger ist seit dem 27.11.1991 bei der Beklagten im Betrieb in E1 als Produktionsmitarbeiter bzw. Maschinenführer beschäftigt. Die Beklagte hat ihren Hauptsitz in O1 in Hessen. Sie wendet auf alle Arbeitsverhältnisse – auch im Betrieb in E1 – die jeweils gültigen tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen an, da sie Mitglied im Arbeitgeberverband Steine und Erden Hessen und Thüringen e.V. ist und die Geltung dieser tariflichen Regelungen in einem mit der IG BCE abgeschlossenen Haustarifvertrag ab dem 01.01.2004 vorgesehen ist. Die Beklagte hat dem Kläger stets die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen gewährt. § 8 des Rahmentarifvertrages für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen vom 27.04.2005 (nachfolgend: RTV) lautet:
- „Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zuschlägen jeder Art verfallen, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.
- Alle sonstigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden.
- Werden die Ansprüche abgelehnt, so verfallen sie, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.”
Mit den Schreiben vom 12.03.2008 und vom 27.03.2008 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis jeweils zum 30.09.2008. Über die Wirksamkeit dieser Kündigungen führten die Parteien einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Hagen. Mit dem Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 30.09.2008 (1 Ca 749/08) wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 12.03.2008 noch durch die Kündigung vom 27.03.2008 zum 30.09.2008 beendet worden ist; zudem wurde die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht Hamm mit dem Urteil vom 29.05.2009 (7 Sa 1643/08) zurück. Das Berufungsurteil ist den Parteien am 03.07.2009 zugestellt und rechtskräftig geworden.
Ab dem 01.10.2008 wurde der Kläger von der Beklagten während des laufenden Kündigungsschutzprozesses weiterbeschäftigt, wobei die Beklagte bis einschließlich Juli 2009 allerdings im Wesentlichen nur die geleisteten Arbeitsstunden des Klägers ohne Zuschläge vergütete. Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage sowie Sondervergütungen erhielt der Kläger nicht in vollem Umfang. Wegen der in den Monaten Oktober 2008 bis Juli 2009 im Einzelnen an den Kläger erbrachten Zahlungen wird auf die Ablichtungen der Entgeltabrechnungen verwiesen, die der Kläger mit dem Schriftsatz vom 23.03.2010 zu den Akten gereicht hat (Blatt 12 bis 22 der Akten). Darüber hinaus sind mit dem Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2010 weitere Abrechnungen für die Monate Oktober 2008 sowie April und Mai 2009 zur Gerichtsakte gereicht worden (Blatt 100, 102 und ...