Die Revision wird zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Gratifikation. Betriebsübung. wirtschaftliche Notlage. Störung der Geschäftsgrundlage. Treu und Glauben

 

Leitsatz (amtlich)

Entgegen der älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. AP Nr. 7 zu § 322 ZPO) kommt bei Gewährung einer Gratifikation aufgrund betrieblicher Übung eine Kürzung oder ein vollständiger Wegfall des Anspruchs wegen einer wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers aus Gründen der Treuepflicht des Arbeitnehmers nicht in Betracht. Ohne besondere Anhaltspunkte kann das Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers auch nicht als Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB n.F.) der Gratifikationszuwendung angesehen werden.

 

Normenkette

BGB §§ 313, 242

 

Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 11.02.2004; Aktenzeichen 4 (1) Ca 8/04)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Schluss-Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 11.02.2004 – 4 (1) Ca 8/04 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage verlangt der Kläger, welcher seit dem Jahre 1984 als Arbeitnehmer im Metallbetrieb der Beklagten beschäftigt ist, die Zahlung von „Weihnachtsgeld” für das Jahr 2003 in Höhe von 90% seines Bruttoeinkommens.

Hierzu verweist der Kläger auf die unstreitige Tatsache, dass er in der Vergangenheit – mindestens seit dem Jahre 1997 – eine entsprechende, als Weihnachtsgeld bezeichnete Zahlung vorbehaltlos erhalten hat, so dass eine rechtsverbindliche betriebliche Übung entstanden sei. Demgegenüber macht die Beklagte geltend, jedenfalls nach der Handhabung seit dem Jahre 2001 könne nicht von einer feststehenden Betriebsübung ausgegangen werden, vielmehr handele es sich erkennbar um eine Leistung nach „Gutdünken”. Freiwillig habe die Beklagte im Jahre 2001 nur 50% eines Gehalts als Weihnachtsgeld gezahlt, die restliche Forderung habe der Kläger erst im Klagewege durchgesetzt. Nachdem im Jahre 2002 wiederum ein Betrag in Höhe von 90% des Gehaltes gezahlt worden sei, hingegen im laufenden Jahr (2003) kein Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld erhalten habe, könne von einer gleichmäßigen Handhabung keine Rede mehr sein. Im Übrigen beruft sich die Beklagte darauf, in Anbetracht ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage könne der Kläger nach Treu und Glauben die begehrte Leistung nicht verlangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei der Arbeitgeber berechtigt, die im Wege der Betriebsübung begründeten Gratifikationsansprüche zu reduzieren oder gänzlich zu beseitigen, sofern diese die Grenzen der zumutbaren Belastung überstiegen. Entsprechendes folge aus den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage und der Betriebsrisikolehre. Zur Darstellung ihrer wirtschaftlichen Lage legt die Beklagte betriebswirtschaftliche Unterlagen vor, welche fürdas Jahr 2002 einen Verlust von ca. 119.000,00 EUR, für das Jahr 2003 einen Verlust von mehr als 66.000,00 EUR und zum 31.07.2004 einen Verlust von ca. 36.000,00 EUR ausweisen. Die Beklagte behauptet hierzu, die Belastung mit entsprechenden Gratifikationsansprüchen führe zu einer ernstlichen Existenzgefährdung des Unternehmens.

Nach Erledigung anderer Streitpunkte durch gerichtlichen Teilvergleich hat der Kläger im ersten Rechtszuge zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.659,74 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch Schluss-Urteil vom 11.02.2004 hat das Arbeitsgericht nach dem Klageantrag erkannt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, an der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne nicht festgehalten werden, da es sich bei den durch Betriebsübung begründeten Ansprüchen um vorbehaltlos zugesagte, vertragliche Rechte handele.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten Berufung begehrt die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens die Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils und führt ergänzend aus, auch aus Gründen des Vertrauensschutzes müsse für den vorliegenden Fall an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, auf welche sich die anwaltliche Beratungspraxis eingestellt habe, festgehalten werden.

Die Beklagte beantragt,

das Schluss-Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 11.02.2004 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

Dem Kläger steht der verfolgte Zahlungsanspruch nach den Regeln der betrieblichen bung zu.

1. Unstreitig hat der Kläger zumindest seit dem Jahre 1997 mehr als dreimal vorbehaltlos die streitige Sonderleistung erhalten, so dass nach den Regeln der betrieblichen Übung ein entsprechender Rechtsanspruch des Klägers entstanden ist.

2. Soweit die Beklagte demgegenüber mit der Berufung einwendet, jedenfalls zuletzt habe es sich bei der Gewährung der Sonderzahlung nicht um eine feststehende Betriebsübung, sondern um eine Leistung nach „Gutdünken” ohne rechtsverbindlichen Charakter gehandelt...

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