Entscheidungsstichwort (Thema)
Drohung, steuerrechtliches und strafrechtliches Fehlverhalten des Arbeitgebers, Prozessvortrag, wichtiger Grund, Vergleich. Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Drohung mit der Aufdeckung strafrechtlich relevanten Verhaltens im Kündigungsschutzprozess
Leitsatz (amtlich)
1. Die Drohung eines Arbeitnehmers mit einer Anzeige wegen eines steuer- oder strafrechtlichen Fehlverhaltens des Arbeitgebers, um einen ihm nicht zustehenden Vorteil zu erreichen, ist an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet.
2. An einer solchen gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßenden Drohung fehlt es, wenn
- der Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers in einem Kündigungsschutzprozess an den Prozessbevollmächtigten des Arbeitgebers vorab einen Schriftsatz übersendet, in welchem unter Konkretisierung des arbeitgeberseitigen Verhaltens vorgetragen wird, der Arbeitgeber habe in Wirklichkeit nicht betriebsbedingt gekündigt, sondern wolle den Arbeitnehmer als "Mitwisser" von Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung aus dem Betrieb entfernen, und
- der Prozessbevollmächtigte des Arbeitnehmers im Begleitschreiben erklärt, dass der Schriftsatz an das Arbeitsgericht übersandt wird, falls "innerhalb der nächsten Tage" kein Interesse an einer einvernehmlichen Regelung mitgeteilt wird.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Entscheidung vom 19.06.2012; Aktenzeichen 2 Ca 281/12) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 19. Juni 2012 (2 Ca 281/12) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der am 12. September 1963 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 1. August 1988 mit einer Unterbrechung vom 1. April 1990 bis 31. Juli 1990 bei der Beklagten tätig. Zuletzt war er Leiter der Finanzbuchhaltung mit einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von 3.899,00 €. Die Beklagte beschäftigte Anfang 2012 in der Verwaltung in S1 neben dem Kläger fünf sowie in einem Lager in K1 acht Arbeitnehmer und zwei Auszubildende. Gesellschafter der Beklagten sind W1 H1 und dessen Tochter K2 H1.
Seit Juni 2011 übernahm die Gesellschafterin Aufgaben im Bereich der Buchhaltung. In diesem Zusammenhang wurde eine Lohnbuchhaltungssoftware der Firma L1 angeschafft. Bei der Einführung dieser Software kam es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger und der Gesellschafterin, welche zu einer Abmahnung vom 3. Januar 2012 wegen Arbeitsverweigerung (Nichtübernahme von Arbeiten in der Lohnbuchhaltung) führte. Mit Schreiben vom 10. Januar 2012 forderte der Kläger die Beklagte zur Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte auf. Am 25. Januar 2012 kam es zu einem Telefonat zwischen den beiden späteren Prozessbevollmächtigten der Parteien, dessen Gegenstand aus Sicht des Klägers aufgetretene "Unregelmäßigkeiten" in der Buchhaltung waren und zu denen im Nachgang Unterlagen übersandt wurden. Mit Schreiben vom 31. Januar 2012 (vgl. wegen der weiteren Einzelheiten Anlage K7 der Klageschrift, Bl. 19 f. d. A.) nahm die Beklagte die Abmahnung zurück und teilte dabei unter anderem Folgendes mit:
Unsere Mandantin legt bei dieser Gelegenheit Wert auf die Feststellung, dass Grund für diese Entscheidung nicht das zwischen ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, und dem Unterzeichner am 25.01.2012 geführte Telefonat und die darin Ihrerseits angekündigten "weiteren Schritte" ist, sondern allein der Umstand, dass sich unsere Mandantin im Hinblick auf das abgemahnte Verhalten erheblichen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sieht.
Mit mehreren Schreiben, zuletzt mit dem allein streitgegenständlichen vom 24. Februar 2012 (vgl. Anlage K5 der Klageschrift, Bl. 14 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 30. September 2012 mit der Behauptung, der Arbeitsplatz des Klägers sei weggefallen, weil die Gesellschafterin H1 die Finanz- und Lohnbuchhaltung einschließlich deren Leitung komplett übernommen habe. Hiergegen richtete sich die am 2. März 2012 beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage. Am 26. April 2012 fand ein Gütetermin statt. Ein vom Gericht vorgeschlagener Vergleich (Ende: 30. September 2012, Abfindung: 28.000,00 €) wurde von der Beklagten abgelehnt. Nach dem Termin fand ein Gespräch über die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Lösung auf dem Gerichtsflur statt, an dem der Kläger, sein Bevollmächtigter und der für diese allein anwesende Prozessbevollmächtigte der Beklagten beteiligt waren. Zwischen den Parteien ist streitig, inwieweit hier abgesprochen wurde, dass der Kläger die vom Gericht bis zum 20. Mai 2012 angeforderte Stellungnahme zur Klageerwiderung vorab übersenden sollte, um die Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung zu prüfen.
Mit dem am selben Tag beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 14....