Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt bzgl. Verstoßes gegen die Offenlegungspflicht und Konkretisierungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
Ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem für den Tätigkeitsbeginn vorgesehenen Zeitpunkt gilt als zustande gekommen, wenn ein Verstoß gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht des § 1 Abs. 1 S. 5 und 6 AÜG besteht, sofern keine Festhaltenserklärung aufseiten des Leiharbeitnehmers besteht. § 9 Abs. 1 Nr. 1a. AÜG sieht die Unwirksamkeit von Arbeitsverträgen zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern vor, soweit keine ausdrückliche Bezeichnung der Arbeitnehmerüberlassung als solche vorliegt und keine Konkretisierung der Person des Leiharbeitnehmers vorgenommen wurde.
Normenkette
AÜG § 9 Abs. 1 Nr. 1a
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 10.09.2021; Aktenzeichen 2 Ca 209-21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 10.09.2021, 2 Ca 209/21 wird mit der Maßgabe kostenpflichtig zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, den Kläger über den 30.06.2021 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Lagerist zu beschäftigen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorrangig darüber, ob zwischen ihnen kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Der Kläger wurde seit dem 04.06.2012 im Betrieb der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Lagerist eingesetzt, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob dieser Einsatz im Wege eines wirksamen Werkvertrags oder im Rahmen einer sog. verdeckten Arbeitnehmerüberlassung erfolgte. Seit dem 16.02.2018 wurde der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt einen Arbeitsvertrag als Leiharbeitnehmer mit der A GmbH geschlossen hatte, im Rahmen einer sog. offenen Arbeitnehmerüberlassung im Betrieb der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der B GmbH, beschäftigt. Hintergrund der Umstellung war ein Compliance-Projekt im Rahmen der AÜG-Reform im Jahr 2017, verbunden mit der Befürchtung der Beklagten aus der bisherigen Vertragskonstruktion könnten Rechte der Mitarbeitenden der A GmbH aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG erwachsen sein. Der Kläger war im Wareneingang, im Warenausgang, in der Kommissionierung und in der Inventur tätig.
Die Beklagte legte einen von ihr erstellten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag Nr. xxx mit der A GmbH (Bl. 279 ff. d. A.) vor, der von der A GmbH am 05.02.2018 und von ihrer Rechtsvorgängerin am 28.02.2018 unterzeichnet worden war. Ferner überreichte sie als Anlage 1 zum Arbeitnehmerüberlassungsvertrag Nr. xxx überschriebene, von ihr erstellte und auf den Kläger bezogene Einsatzangaben für die Zeiträume vom 16.02.2018 bis zum 31.12.2018, unterschrieben am 05.02.2018 respektive 28.02.2018 (Bl. 288 ff. d. A.), sowie als Anlage 1 zum Arbeitnehmerüberlassungsvertrag Nr. 011 vom 01.01.2029 überschriebene Mitteilungen betreffend die Zeiträume vom 01.01.2019 bis zum 07.02.2019 (Bl. 325 ff. d. A.), vom 01.01.2020 bis zum 30.06.2020 (Bl. 321 ff. d. A.) und vom 01.01.2020 bis zum 30.10.2020 (Bl. 328 ff. d. A.). Über den geplanten Einsatz des Klägers vom 16.02.2018 bis zum 31.12.2018 informierte die Beklagte ihren Betriebsrat mit Schreiben vom 05.02.2018, das am 06.02.2018 beim Betriebsrat einging. Der Betriebsrat stimmte dem Einsatz des Klägers am 08.02.2018 zu.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging zum 01.01.2019 im Wege eines Betriebsübergangs von der A GmbH auf die C GmbH über.
Sein Einsatz im Rahmen der sog. offenen Arbeitnehmerüberlassung war vom 08.02.2019 bis zum 09.05.2019 und vom 24.10.2020 bis zum 25.01.2021 - so der Kläger - bzw. vom 31.10.2020 bis zum 01.02.2021 - so die Beklagte - unterbrochen. Die Beklagte beschäftigte permanent Arbeitnehmer der A GmbH bzw. der C GmbH im Betrieb.
Die C GmbH als Vertragsarbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.06.2021, nachdem die Beklagte ihr gegenüber den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ebenfalls gekündigt hatte. Das hierzu geführte arbeitsgerichtliche Bestandsschutzverfahren endete mit einem Beendigungsvergleich.
Mit der am 03.02.2021 beim Arbeitsgericht Herne eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses zu seiner Entleiherin, der Beklagten, und macht einen entsprechenden Beschäftigungsanspruch geltend.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, er sei im Rahmen einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung im Betrieb der Beklagten beschäftigt gewesen, so dass deswegen ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen sei. Er sei in den Betrieb umfänglich integriert gewesen; diesbezüglich verweise er auf seinen Vortrag auf den Seiten 2 bis 9 der Klageschrift sowie auf den Seiten 1 bis 10 des Schriftsatzes vom 06.05.2021. Des Weiteren sei ein Arbeitsverhältnis wegen Überschreitung der zulässigen Überlassungshöchstdauer zustande gekommen. Die Unterbrechungszeiträume bezüglich d...