Entscheidungsstichwort (Thema)
Neutralitätsgebot. Kopftuch. Verhaltensbedingte Kündigung. Lehrerin. Tragen eines islamischen Kopftuchs während des Unterichts
Leitsatz (redaktionell)
Das Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Lehrerin während des Unterrichts verletzt das Verhaltensgebot des § 57 Abs.4 SchulG NW und berechtigt den Arbeitgeber nach vorheriger Abmahnung zur Kündigung.
Normenkette
SchulG NW § 57; GG Art. 4, 6-7
Verfahrensgang
ArbG Herne (Urteil vom 21.02.2008; Aktenzeichen 6 Ca 649/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Herne vom 21.02.2008 – 6 Ca 649/07 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten insbesondere um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung vom 20.02.2007 zum 30.06.2007.
Die am 21.02.1977 geborene Klägerin steht bei dem beklagten Land seit dem 17.09.2001 als Lehrerin in einem Arbeitsverhältnis. Sie verdiente zuletzt 2851,58 EUR. Nach § 1 des Arbeitsvertrages ist die Klägerin als Lehrerin für Schulen im Bezirk des Schulamtes für den Kreis R1 und für den Kreis B5 eingestellt. Mit Zusatzvertrag vom 11.07.2002 ist der Arbeitsvertrag vom 05.09.2001 unter anderem dahingehend geändert worden, dass die Klägerin als Lehrerin für Schulen im Bereich des Schulamtes für den Kreis R1 beschäftigt wird. Die Klägerin erteilt an verschiedenen Schulen muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache, an dem ausschließlich Schüler islamischer Religionsrichtung teilnehmen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 05.09.2001 der BAT und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung (Bl. 50 – 52 GA). Die Klägerin unterrichtete sowohl in den Vormittagsstunden wie auch nachmittags (Kopie Stundenplan vom 18.09. 2006, Bl. 339 GA).
Bereits bei ihrer Einstellung und Bewerbung hatte die Klägerin ein Lichtbild eingereicht, das sie mit Kopftuch zeigte. In der nachfolgenden Zeit verrichtete sie ihren Dienst stets mit Kopftuch. Nach Inkrafttreten des § 57 SchulG NW in seiner jetzigen Fassung wurde die Klägerin im August 2006 vom Schulleiter darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Tragen eines Kopftuch mit der Neufassung des Schulgesetzes NRW nicht mehr vereinbar sei (§ 57 Abs. 4 des Schulgesetz NRW – SchulG NW –). Die Klägerin nahm hierzu mit Schreiben vom 23. 8. 2006 Stellung (Bl. 20 GA). Dort heißt es auszugsweise:
”…
Ich trage mein Kopftuch seit meinem 12. Lebensjahr. Dieser Entschluss resultierte rein aus religiöser Überzeugung. Nachdem ich die Grundschule in D2 absolviert habe, wurde ich seitens meiner Eltern in die Türkei auf eine der türkischen Regierung angehörigen theologischen Gelehrten- bzw. Predigerschule (Schule für Islamwissenschaften) geschickt. Dort habe ich fortdauernd mein Kopftuch getragen. Auch während meines Studiums (1996 – 2000) habe ich dies getan. Als ich wieder in Deutschland war, bin ich in meinem Beruf als Lehrerin als Kopftuchträgerin eingestiegen.
Ich möchte betonen, dass ich mein Kopftuch ausschließlich aus eigenem Wunsch und rein aus religiöser Überzeugung trage. Dies ist meine freie Wahl und Entscheidung.
Ich berufe mich daher auf meine Glaubensfreiheit und auf mein Grundrecht auf freie Religionsausübung.
Ich hatte in den letzten fünf Jahren die Freiheit, meinen Beruf auszuüben und gleichzeitig meine Religionsfreiheit zu verwirklichen, indem ich meinen Kopf bzw. meine Haare in der Öffentlichkeit – wozu auch die Schule gehört – bedeckt habe. Ich halte das Kopftuch auf keinen Fall für ein Symbol der Unterdrückung der Frau. Auch die Nonnen im christlichen Glauben bedecken ihre Haare und ihren Kopf.
Bis heute habe ich an sechs verschiedenen Schulen mit sehr vielen Kollegen und Vorgesetzten gearbeitet. In dieser Zeit war ich kein einziges Mal mit einem Problem wegen meines Kopftuches konfrontiert. Ich liebe meinen Beruf und meine Schüler sehr und bedaure, dass das Kopftuchtragen jetzt zu einem – wie ich meine – künstlichen Problem gemacht wird.
… „
Das Schulamt hörte die Klägerin unter dem 06.11.2006 zu einer beabsichtigten Abmahnung an (Kopie Bl. 23 – 25 GA). Der Prozessvertreter der Klägerin nahm hierzu mit Datum vom 16.11.2006 Stellung (Kopie Bl. 26 – 29 GA). Nach vorheriger zustimmender Beteiligung des Personalrates (Bl. 30 GA) erteilte das beklagte Land der Klägerin durch das Schulamt für den Kreis R1 unter dem 21.11.2006 eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen § 57 Abs.4 SchulG NW, weil die Klägerin sich weigerte, ohne Kopftuch zu unterrichten. Gegen die Abmahnung hat sich die Klägerin in dem Verfahren Arbeitsgericht Herne 4 Ca 3415/06 gewandt. Das Arbeitsgericht hat jene Klage mit Urteil vom 07.03.2007 abgewiesen. Die Klägerin hat ihr Begehren im Berufungsrechtszug weiter verfolgt. Die Berufung der Klägerin im Rechtsstreit wegen der Abmahnung ist ebenfalls durch Urteil der erkennenden Kammer am 16.10.2008 zurückgewiesen worden (11 Sa 280/08 – vormals 5...