Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustandekommen eines Arbeitsvertrags. Keine Arbeitgebergemeinschaft aus § 1357 BGB. Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden. Kündigung als Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitsvertrag kommt nur zustande, wenn sich die Vertragsparteien mit übereinstimmenden Willenserklärungen über die "essentialia negotii" einigen. Nach § 612 BGB genügt dabei eine Einigung über die Erbringung der Dienstleistung, wenn diese den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist.
2. Der Abschluss eines Arbeitsverhältnisses - und sei es über Tätigkeiten, die den gemeinsamen Haushalt der Ehegatten betreffen - ist kein "Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie" i.S.d. § 1357 BGB mit der Folge, dass auch der andere Ehegatte aus dem Arbeitsvertrag mit berechtigt und mit verpflichtet würde.
3. Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den "gewöhnlichen Verhältnissen" und den "Gepflogenheiten des Verkehrs" zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist.
4. Als benachteiligende Maßnahme i.S.d. § 612a BGB kommt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Sie kann sich als Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung darstellen. Das Maßregelungsverbot ist verletzt, wenn zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dafür muss die zulässige Rechtsausübung der tragende Grund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein.
Normenkette
ZPO § 130 Nr. 6, § 533 Nr. 2; KSchG § 4 S. 1, § 23; ArbGG § 12a Abs. 1 S. 1; BGB §§ 126, 130 Abs. 1 S. 1, § 288 Abs. 5, §§ 422, 612, 612a, 705, 1357
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Entscheidung vom 05.03.2020; Aktenzeichen 1 Ca 568/19) |
Tenor
- Die Klägerin ist des Rechtsmittels der Berufung bezüglich der Feststellungsanträge wie erstinstanzlich zu 1) und 2) gestellt verlustig.
- Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 05.03.2020 - 1 Ca 568/19 - zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
- Die Revision wird für die Klägerin nur insoweit zugelassen, als sie die Abweisung der zweitinstanzlich zuletzt gestellten Anträge zu 1), 3), 6) und 7) betrifft. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des klägerischen Arbeitsverhältnisses, Zahlungsansprüche, ein Zeugnis sowie einen Nachweis über die wesentlichen Arbeitsbedingungen.
Die 1961 geborene verheiratete Klägerin ist Mutter zweier Kinder und war seit Januar 2014 im privaten Haushalt der beklagten Eheleute tätig. Die Arbeitszeit betrug 8 Stunden pro Woche bei einem Stundenlohn von 12,50 EUR brutto verteilt auf die Tage Dienstag und Freitag. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. In allen Meldungen der Minijob-Zentrale der Knappschaft war die Beklagte zu 1) als alleinige Arbeitgeberin aufgeführt, ohne dass die Klägerin dies jemals bemängelt hätte.
Am 08.04.2019 und 16.04.2019 führten die Klägerin und die Beklagte zu 1) Gespräche, deren genauer Inhalt und Verlauf zwischen den Parteien streitig ist.
Mit Schreiben vom 18.04.2019 (Bl. 3 d.A.) kündigte die Beklagte zu 1) das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31.05.2019.
Die Klägerin war vom 18.04.2019 bis zum 29.05.2019 arbeitsunfähig erkrankt. Die entsprechende ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ging der Beklagten zu 1) am 18.04.2019 zu.
Gegen die Kündigung vom 18.04.2019 hat sich die Klägerin mit ihrer am 13.05.2019 beim Arbeitsgericht gegen die Beklagte zu 1) erhobenen Kündigungsschutzklage gewendet und gleichzeitig ein Zeugnis und Urlaubs- sowie Feiertagsvergütung geltend gemacht. Mit Klageerweiterung vom 12.06.2019 hat sie darüber hinaus einen Arbeitsnachweis, ein Zwischenzeugnis sowie rückständige Vergütung und Urlaubsabgeltung begehrt und die Klage schließlich eingehend beim Arbeitsgericht am 19.12.2019 gegen den Beklagten zu 2) erweitert.
Die Klägerin hat seither die Auffassung vertreten, auch der Beklagte zu 2) sei ihr Arbeitgeber. Sie habe aufgrund eines handschriftlichen Aushangs im Dezember 2013 Kontakt mit der Beklagten zu 1) aufgenommen. Es habe dann ein persönlicher Kontakt mit beiden Beklagten stattgefunden. Durch Arbeitsaufnahme wenige Tage später sei das Arbeitsverhältnis zwischen allen drei Parteien zustande gekommen. Weitestgehend die Beklagte zu 1) habe die Arbeitsleistung tatsächlich gefordert, gelegentlich aber auch der Beklagte zu 2).
Die Kündigun...