Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung eines Betriebsratsmitglieds. Arbeitsentgelt des freigestellten Betriebsratsmitglieds. anderweitige Regelung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Regelungsabrede. Widerruf/Kündigung der Regelungsabrede. Direktionsrecht. Zuweisung von Schichtarbeit. billiges Ermessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der für die Anzahl der nach § 38 Abs. 1 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke sind Leiharbeitnehmer nicht zu berücksichtigen.
2. § 38 Abs. 1 S. 5 ermöglicht, anstelle der gesetzlichen eine anderweitige pauschalierte Regelung der Freistellung festzulegen. Insoweit ist es möglich, auch für Betriebe unter 200 Arbeitnehmern eine pauschalierte völlige oder teilweise Freistellung von Betriebsratsmitgliedern zu vereinbaren.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 2, § 38 Abs. 1, § 77 Abs. 5; BGB § 315; GewO § 106
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Urteil vom 14.01.2009; Aktenzeichen 6 Ca 2726/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 14.01.2009 – 6 Ca 2726/08 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 681,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 01.07.2008 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, Schichtarbeit zu leisten.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren 3.319,22 EUR.
Tatbestand
Im Berufungsverfahren streiten die Parteien noch über restliche Vergütungsansprüche des Klägers aus Juni 2008 sowie über seine Verpflichtung, ab Mai 2008 Schichtarbeit zu leisten.
Der am 11.05.1959 geborene Kläger, von Beruf Kfz-Mechaniker, ist verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet. Seit dem 11.01.1982 ist er bei der Beklagten, die Serienfahrzeuge in Wohnmobile umbaut und zuletzt noch ca. 190 Stammarbeitnehmer sowie 50 bis 70 Leiharbeitnehmer beschäftigt, tätig. Die Arbeitsvertragsbedingungen zwischen den Parteien richten sich nach dem „Bewerbungsfragebogen/Einstellungsvertrag” vom 05.01.1982 (Bl. 11 der Akten), wonach der Kläger für die Kostenstelle 350, einer Tätigkeit am Montageband, in Werk III eingestellt wurde. Im Übrigen wird auf den Einstellungsvertrag vom 05.01.1982 Bezug genommen. Der Kläger bezog zuletzt ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 2.637,68 EUR. Aus seinem monatlichen Grundentgelt von 2.161,50 EUR errechnet sich bei einer monatlichen Arbeitszeit von 152,52 Stunden ein Stundensatz von 14,20 EUR.
Im Betrieb der Beklagten in R2-W2 ist ein Betriebsrat gewählt. Seit ca. fünfzehn Jahren ist der Kläger dessen Mitglied, seit etwa sechs Jahren ist er der gewählte Betriebsratsvorsitzende. Da die Beklagte in der Vergangenheit, auch noch zum Zeitpunkt der letzten Betriebsratswahl im Jahre 2006 mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigte, war der Betriebsratsvorsitzende von seiner Arbeitsleistung freigestellt. Als der Kläger zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt wurde, wurde er ebenfalls aufgrund der Betriebsgröße der Beklagten nach § 38 BetrVG freigestellt. Auch nach der Betriebsratswahl im Jahre 2006 blieb der Kläger mit Zustimmung der Beklagten vom 07.04.2006 freigestellt.
Nachdem die Zahl der Stammarbeitnehmer unter 200 abgesunken war, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 02.03.2007 (Bl. 31 der Akten) Folgendes mit:
„…
bezugnehmend auf Ihren Freistellungsantrag vom 03.04.2006 teilen wir Ihnen mit, dass nach §§ 37 und 38 BetrVG eine Freistellung nicht mehr zwingend erforderlich ist.
Wir ziehen daher unsere Zustimmung vom 07.04.2006 zurück.
Ab 12.03.2007 werden sie in der Kostenstelle 330 als Finisher Ihre Arbeit aufnehmen.”
Das Schreiben vom 02.03.2007 ist vom damaligen Geschäftsführer der Beklagten K2 unterzeichnet.
Im Anschluss an das Schreiben vom 02.03.2007 kam es über die Freistellung des Klägers zu Gesprächen zwischen dem Betriebsrat-Ausschuss und dem damaligen Geschäftsführer K2. Da die Anzahl der Stammarbeitnehmer seinerzeit um die Zahl 200 schwankte und der Betriebsrat den Umfang der vom Kläger geleisteten Betriebsratstätigkeit darlegen konnte, erklärte sich der Geschäftsführer K2 damit einverstanden, dass es weiterhin bei der vollständigen Freistellung des Klägers blieb.
Bereits am 21.12.2005 schlossen der Betriebsrat und die Beklagte eine Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit” (Bl. 87 f. der Akten) und am 22.12.2005 eine Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Arbeitszeitgestaltung und Beschäftigungssicherung (Bl. 43 ff. der Akten) ab.
Nach der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit” vom 21.12.2005 läuft die Arbeitszeit bei ausschließlicher Arbeit in Tagschicht von montags bis donnerstags von 6:00 Uhr bis 14:15 Uhr und freitags von 6:00 Uhr bis 11:15 Uhr. Bei der Arbeit in Doppelschicht ist die Arbeitszeit für die Frühschicht von montags bis donnerstags von 5:30 Uhr bis 14:00 Uhr, freitags von 5:30 Uhr bis 11:45 Uhr und für die Spätschicht montags bis donnerstags von 14:00 Uhr bis 22:30 Uhr f...