Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung als Voraussetzung der betrieblichen Invalidenrente. Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Keine Parallelität von Ansprüchen auf Arbeitsvergütung und auf Ruhegeld. Keine Inhaltskontrolle nach AGB-Recht bei Betriebsvereinbarungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Versorgungszusagen, nach denen der Arbeitgeber für den Fall der Erwerbsunfähigkeit oder einer voraussichtlich dauernden Berufsunfähigkeit eine Invalidenrente zusagt, sind regelmäßig dahin auszulegen, dass der Leistungsfall (auch) dann eintritt, wenn der Sozialversicherungsträger dem Arbeitnehmer eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung bewilligt.
2. Die systematische Auslegung und die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung in der Versorgungsordnung ergibt, dass mit "Ausscheiden" die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nicht nur ein faktisches Ausscheiden im Sinne des Ruhens der beiderseitigen Hauptleistungspflichten gemeint ist.
3. Eine betriebliche Ruhegeldordnung kann den Versorgungsfall der Invalidität von der doppelten Voraussetzung abhängig machen, dass einerseits Invalidität eingetreten ist und darüber hinaus das Arbeitsverhältnis geendet hat. Damit wird sichergestellt, dass für die Arbeitnehmer nicht gleichzeitig Ansprüche auf Arbeitsvergütung und Ruhegeld erwachsen können.
4. Für die Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung findet nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB eine Inhaltskontrolle nicht statt.
Normenkette
BetrAVG § 1 Abs. 1; BGB §§ 307, 310 Abs. 4 S. 1; AVG § 23; RVO §§ 1246-1247; SGB III §§ 43-44
Verfahrensgang
ArbG Münster (Entscheidung vom 18.02.2022; Aktenzeichen 4 Ca 1369-21) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 18.02.2022 - 4 Ca 1369/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, von welchem Zeitpunkt an dem Kläger gegenüber dem Beklagten eine betriebliche Invalidenrente zusteht.
Der am 06.02.1963 geborene Kläger wurde zu einem nicht vorgetragenen Zeitpunkt von dem Beklagten eingestellt. Sein letzter Arbeitsvertrag vom 02.10.2009 enthält u.a. die nachfolgende Bestimmung:
" . . .
10. Beendigung oder Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen des Bezuges von Rente oder Arbeitslosengeld
Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter die Regelaltersgrenze zum Bezug einer ungeminderten Rente erreicht.
Es endet auch mit Ablauf des Monats, welcher dem Monat vorhergeht, ab dem der Mitarbeiter eine andere Altersrente als die Regelaltersrente bezieht. Weiterhin endet das Arbeitsverhältnis, wenn durch einen Bescheid eines Rentenversicherungsträgers festgestellt wird, dass der Mitarbeiter auf Dauer eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Das Arbeitsverhältnis endet dann mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid zugestellt wird. Beginnt die Rente wegen Erwerbsminderung erst nach der Zustellung des Rentenbescheides, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des dem Rentenbeginn vorhergehenden Tages.
Das Arbeitsverhältnis ruht während des Bezuges von Arbeitslosengeld sowie mit Ablauf des Kalendermonats, in dem dem Mitarbeiter der Bescheid eines Rentenversicherungsträgers über eine Rente auf Zeit wegen voller Erwerbsminderung zugeht. Die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wird hierdurch nicht berührt.
In allen Fällen hat der Mitarbeiter den A unverzüglich über den Zugang eines Rentenbescheides oder den Bezug von Arbeitslosengeld zu unterrichten.
. . . "
Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags vom 02.10.2009 wird auf Aktenblatt 15 bis 19 Bezug genommen.
Bereits am 15.04.1996 schloss der Kläger mit dem Beklagten über seine spätere Versorgung einen Vertrag mit folgendem Inhalt:
"Es wird folgendes vereinbart:
1. Der A a.G. gewährt einen Versorgungsanspruch nach Maßgabe der anliegenden "Versorgungsregelung für Betriebsangehörige der A" (Versorgungsregelung 1979).
2. Besondere Vereinbarungen:
Vertragsbeginn: 06.02.1996"
Bei der "Versorgungsregelung für Betriebsangehörige der A (Versorgungsregelung 1979)" (nachfolgend: VR 79) handelt es sich um Teil einer Betriebsvereinbarung vom 23.12.1982, die u.a. die nachfolgenden Bestimmungen enthält:
"2. Aufnahme
...
2.3 Die Aufnahme in die Versorgung erfolgt aufgrund eines Vertrages zwischen den Betriebsangehörigen und seinem Arbeitgeber, der im Arbeitsvertrag der A genannt ist. ...
...
5. Invalidenrente
5.1 Invalidenrente wird gezahlt, wenn
5.1.1 und solange - längstens bis zum Beginn der Altersgrenze nach Ziffer 4.2 - der Betriebsangehörige invalide, d.h. berufsunfähig i.S. von § 23 AVG bzw. 1246 RVO oder erwerbsunfähig i.S. von § 24 AVG bzw. 1247 RVO ist und
5.1.2 er aus diesen Gründen aus den Diensten der A ausgeschieden ist, ohne daß vorher sein Arbeitsvertrag gekündigt worden ist, unbeschadet der Rechte aus Ziffer 11.1.
5.2 Der A soll binnen dreier Monate nach Antragstellung darüber entscheiden, ob...