Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich bei unzureichendem Einigungsversuch
Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer, der Ansprüche auf Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 BetrVG) vermeiden will, darf sich nicht mit der Erklärung des Betriebsrats zufrieden geben, dieser sehe für Verhandlungen über einen Interessenausgleich keine Notwendigkeit und wolle an einem Interessenausgleich auch nicht mitwirken; er muss vielmehr das für den Versuch einer Einigung über den Interessenausgleich vorgesehene Verfahren voll ausschöpfen und die Einigungsstelle anrufen.
Normenkette
BetrVG § 113 Abs. 3
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 31.01.2003 – 4 Ca 2517/02 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG hat.
Der am 23.01.12xx geborene Kläger, der verheiratet ist, war seit dem 01.04.1996 bei der Beklagten, einem pharmazeutischen Unternehmen mit ca. 250 Beschäftigten, von denen rund 100 im Außendienst tätig sind, beschäftigt. Bei der Beklagten existierte ursprünglich eine Vertriebsstruktur mit 4 Hierarchieebenen: Auf der obersten Ebene war ein Marketing- und Vertriebsleiter angesiedelt, der einen Außendienstleiter führte; dieser wiederum führte 8 Regionalleiter, welchen letztlich jeweils zwischen 10 bis 18 Außendienstmitarbeiter zugeordnet waren. In den ersten beiden Jahren seiner Tätigkeit bei der Beklagten wurde der Kläger als Außendienstmitarbeiter eingesetzt; aufgrund Vertrages vom 06.02.1998 wurde ihm ab dem 01.04.1998 das Aufgabengebiet eines Regionalleiters für die Region Nordwest übertragen. Zu seinen Aufgaben im Rahmen der Führung des Außendienstes gehörten fortan insbesondere administrative Tätigkeiten (Spesenabrechnung, Urlaubsbewilligung, Bewilligung von AZV-Tagen, Planen von Regionaltagungen), Kontrollaufgaben (Gesprächstraining, Durchführung von Doppelbesuchen, Abschluss von PM-Vereinbarungen), die Datenanalyse sowie Vorgaben an die Außendienstmitarbeiter, welche Aktivitäten durchzuführen waren. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst belief sich zuletzt auf 9.291,75 EURO.
Am 26.08.2002 teilte die Beklagte den Regionalleitern auf einer außerordentlichen Regionalleitertagung mit, dass sie mit Konzept vom 08.08.2002 unter dem Stichwort „Prinzip Selbstverwaltung bei der Arbeit” die Einführung einer neuen Organisationsstruktur beschlossen habe. Die bisherige Ebene der Regionalleiter werde komplett abgeschafft; sie habe in der Vergangenheit eher eine Verantwortungsvermeidung und Anpassung der Außendienstmitarbeiter hervorgerufen, anstatt deren Selbstverantwortung zu fördern. Die fachliche Betreuung der Außendienstmitarbeiter solle in Zukunft zentral vom Firmensitz der
Beklagten in C1xxxxxx aus erfolgen. Dort wolle man die Position des Außendienstleiters wieder neu besetzen, die zuletzt kommissarisch durch den Vertriebsleiter mit bearbeitet wurde. Auch sei geplant, die Außendienstleitung durch ein Sekretariat für organisatorische Sachbearbeitung zu unterstützen. Zudem werde zur Unterstützung von Marktanalysen in der Abteilung Vertriebssteuerung eine vorhandene Position als Regional Data Management konzentriert. Die wesentlichen Regionalleiter- Funktionen würden wie folgt verlagert:
– |
Datenanalyse |
Abteilung Vertriebssteuerung, Regional Data Manager |
– |
Mitarbeitertagungen |
Außendienstleiter (ADL) und Sekretariat |
– |
Gesprächstraining |
entfällt, im Ausnahmefall durch ADL oder Schulungsleiter |
– |
Doppelbesuche |
entfällt, im Ausnahmefall durch ADL oder Schulungsleiter |
– |
Spesenabrechnung |
Genehmigung Abteilung Finanz- und Rechnungswesen |
– |
AZV-Tage |
Abwicklung Abteilung Personal, Genehmigung ADL |
– |
Urlaub |
Abwicklung Abteilung Personal, Genehmigung ADL |
– |
PM-Vereinbarungen |
Genehmigung entfällt; Mitarbeiter entscheidet selbst |
– |
Veranstaltungen |
Genehmigung entfällt; Mitarbeiter entscheidet selbst, Unterstützung seitens Zentrale |
– |
Musterlagerkontrolle |
Abteilung Vertriebssteuerung |
– |
Werbemittelplanung |
Selbständig mit Unterstützung Marketing Assistant. |
Gleichzeitig bot die Beklagte sämtlichen Regionalleitern an, in Zukunft als Außendienstmitarbeiter in nicht besetzten Gebieten zu einem monatlichen Bruttoverdienst von 4.000,00 EURO zzgl. Prämien und Firmen-PKW weiterbeschäftigt zu werden. Nachdem der Kläger zu diesem Angebot innerhalb der ihm gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben hatte, kündigte die Beklagte nach Anhörung des bei ihr eingerichteten Betriebsrats das mit dem Kläger begründete Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.09.2002 fristgemäß zum 31.12.2002. Zugleich bot sie ihm mit Wirkung vom 01.01.2003 eine Weiterbeschäftigung als Außendienstmitarbeiter in den Gebieten B3xxxx oder P3xxxxxxx an. Der Kläger hat das Änderungsang...