Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Veruntreuung eines hohen Geldbetrages. Begrenzung von Verdachts- und Tatkündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwar stellt der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf selbst einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Jedoch stehen beide Gründe nicht beziehungslos nebeneinander. Wird daher die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, so lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt.
2. Ein Zivilgericht darf sich, um sich eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen. Zwar sind die in einem Strafurteil enthaltenen Feststellungen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte grundsätzlich nicht bindend. Sie können aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung i.S. von § 286 Abs. 1 ZPO Berücksichtigung finden.
3. Das Strafurteil ist, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruht, im Wege des Urkundenbeweises gem. §§ 415, 417 ZPO zu verwerten.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; TVöD-S § 34 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 04.10.2016; Aktenzeichen 3 Ca 1053/16) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 04.10.2016 - 3 Ca 1053/16 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 19. April 2016, hilfsweise durch außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ebenfalls vom 19. April 2016 mit dem 31.Dezember 2016 beendet ist.
Wegen des Sach- und Streitstandes sowie der Rechtsauffassungen der Parteien im erstinstanzlichen Verfahren wird auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. August 2017 - 17 Sa 1540/16 (Bl. 545 - 551R d. A.) verwiesen.
Mit Urteil vom 4. Oktober 2016 hat das Arbeitsgericht Herne festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 19. April 2016 weder außerordentlich, fristlos noch hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist beendet worden ist.
Wegen der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 4. Oktober 2016 (Bl. 214 - 234 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihr am 12. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Dezember 2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13. März 2017 am 10. März 2017 eingehend begründet.
Wegen ihres Berufungsangriffs im Einzelnen wird auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. August 2017 (17 Sa 1540/16 - Bl. 553 - 555 R d. A.) verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 4. Oktober 2016, Aktenzeichen 3 Ca 1053/16, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Wegen ihres diesbezüglichen Vorbringens wird auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. August 2017 (Bl. 555, 556 d. A.) Bezug genommen, mit dem es die Berufung der Beklagten auf ihre Kosten zurückgewiesen hat.
Auf ihre Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht die Revision zugelassen und mit Urteil vom 26. April 2018 (2 AZR 611/17) das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. August 2017 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an das Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Es hat ausgeführt:
Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es könne nicht im Sinne einer erwiesenen Tat davon ausgegangen werden, die Klägerin habe am 27. oder 28. Mai 2015 115.000,00 Euro veruntreut, halte einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, da § 286 Abs. 1 ZPO verletzt worden sei. Rechtsfehlerfrei sei das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die in den Entscheidungsgründen angeführten Umstände für eine Täterschaft der Klägerin sprächen. Es habe jedoch nicht ausgeführt, weshalb es nach den objektiven Tatsachen nicht von einer erwiesenen Tat ausgegangen sei.
Das Landesarbeitsgericht sei weiterhin zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Klägerin nicht ausreichend angehört habe und deshalb die auf den Verdacht einer schweren Pflichtverletzung gestützte Kündigung unwirksam sei.
Das Landesarbeitsgericht habe mit der gegebenem Begründung auch nicht einen wichtigen Grund im Sinne der §§ 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S, 626 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des Vorwurfes verneinen dürfen, die Klägerin habe gegen das Geldwäschegesetz verstoßen und ihre Unzuverlässigkeit gezeigt.
Die Beklagte dürfte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewah...