Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Neutralitätspflicht durch Tragen eines Kopftuchs im Krankenhaus. Kündigung wegen Verletzung der Neutralitätspflicht. Wirksame arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel. Rechtmäßige Anordnung zum Verbot des Tragens eines Kopftuchs
Leitsatz (amtlich)
Eine Krankenpflegerin muslimischen Glaubens, die in einem Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft tätig ist und trotz wiederholter Abmahnung darauf beharrt, ihren Dienst kopftuchtragend zu versehen, verletzt ihre Neutralitätspflicht. Das kann den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen.
Normenkette
BGB § 626; BAT-KF; GG Art. 140; WRV Art. 137; GG Art. 4; BGB § 307 Abs. 1; AGG § 9 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 22.07.2020; Aktenzeichen 2 Ca 2070/19) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 22.07.2020 - 2 Ca 2017/19 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie um die Entfernung zweier Abmahnungen. Hintergrund des Streits ist, dass die Klägerin ihre Arbeit kopftuchtragend verrichten will.
Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Dort absolvierte die verheiratete und gegenüber drei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin, die dem islamischen Glauben angehört, zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester; danach war sie für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin als Krankenschwester im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig. Ab dem 01.11.2011 reduzierte die Klägerin ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 19,25 Stunden. In der Folgezeit nahm die Klägerin Eltern- und Pflegezeit in Anspruch. Auf ihren Antrag vom 02.08.2017 hin wurde die Klägerin in der Zeit vom 05.11.2017 bis zum 04.11.2019 unbezahlt von der Arbeit freistellt. Sie bezog zuletzt ein monatliches Entgelt i.H.v. 1.537,90 € brutto.
Ausweislich des Arbeitsvertrages, den die Parteien unter dem 23.07.1999 abschlossen, gelten für das Arbeitsverhältnis "die Bestimmungen des Bundes- Angestelltentarifvertrages in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen jeweils geltenden Fassung (BAT-KF) sowie die sonstigen für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen geschlossenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen, wie sie aufgrund des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisses der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (Arbeitsrechts-Regelungsgesetz-ARRG) vom 25. Oktober 1979 (KABl. S. 230) und seinen Änderungen geregelt sind".
Die Präambel des BAT-KF lautet:
"Der kirchliche Dienst ist durch den Auftrag der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat bestimmt. Nach ihren Gaben, Aufgaben und Verantwortungsbereichen tragen die kirchlichen Mitarbeitenden, wie es in der "Richtlinie des Rates der EKD über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD" in der Fassung vom 09.12.2016 bestimmt ist, zur Erfüllung dieses Auftrags bei. Ihr gesamtes Verhalten im Dienst und außerhalb des Dienstes muss der Verantwortung entsprechen, die sie als Mitarbeitende im Dienst der Kirche übernommen haben. Es wird von ihnen erwartet, dass sie die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahen."
In der "Richtlinie des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Diakonischen Werkes der EKD" vom 09.12.2016 (nachfolgend: RL-EKD 2016, veröffentlicht im Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland 2017, S. 11 f.) heißt es u. a.:
"§ 2
Grundlagen des kirchlichen Dienstes
(1) Der Dienst der Kirche ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen. Alle Frauen und Männer, die in Anstellungsverhältnissen in Kirche und Diakonie tätig sind, tragen dazu bei, dass dieser Auftrag erfüllt werden kann. Dieser Auftrag ist die Grundlage der Rechte und Pflichten von Anstellungsträgern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Anstellungsträger und Mitarbeiterinnen wie Mitarbeiter zu einer Dienstgemeinschaft und verpflichtet sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.
[...]
§ 4
Berufliche Anforderung während des Arbeitsverhältnisses
(1) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernehmen in ihrem Aufgabenbereich Mitverantwortung für die glaubwürdige Erfüllung kirchlicher und diakonischer Aufgaben. Sie haben sich daher gegenüber der evangelischen Kirche loyal zu verhalten. Christinnen und Christen haben für die evangelische Prägung der Dienststelle oder Einrichtung einzutreten. Nicht-Christinnen und Nicht-Christen haben die evangelische Prägung zu achten.
(2) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verpflichtet, sich innerhalb und außer...