Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Geltung des § 1 Abs. 2 KSchG für Organmitglieder einer juristischen Person. Trennung zwischen Organstellung und Anstellungsverhältnis. Kein Schutz des Organmitglieds durch § 613a Abs. 4 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG gelten die Vorschriften über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung nicht in Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. Dies gilt zumindest dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsführer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch besteht. Ein späterer Wegfall der Organstellung ist unerheblich.
2. Die bloße Bestellung zum Geschäftsführer begründet kein weiteres schuldrechtliches Vertragsverhältnis. Dies folgt aus der Trennung von Organstellung und Anstellungsverhältnis. Beide bestehen rechtlich selbstständig nebeneinander. Durch die Bestellung als solche wird keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer begründet.
3. Das Organmitglied verfügt weder über den kollektiven Kündigungsschutz nach § 102 BetrVG noch über den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 KSchG. Die Anwendung des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB würde damit nicht einen bestehenden Kündigungsschutz auf den Fall eines Betriebsübergangs ausdehnen, sondern einen solchen Schutz erst schaffen. Durch die Anwendung des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB würde demnach auch nicht nur eine Schlechterstellung des Klägers verhindert, sondern eine Besserstellung bewirkt. Dies ist nicht zulässig.
Normenkette
Richtlinie 77/187/EWG Art. 1; RL 2001/23/EG Art. 1; KSchG § 1 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Nr. 1; GmbHG § 35 Abs. 1; BetrVG § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 102 Abs. 1; BGB § 613a Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Rheine (Entscheidung vom 22.03.2021; Aktenzeichen 2 Ca 132/20) |
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom Beklagten zu 1) als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH (Insolvenzschuldnerin) ausgesprochenen Kündigung sowie über die Frage, ob das zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin begründete Anstellungsverhältnis aufgrund eines Betriebsüberganges mit der Beklagten zu 2) fortbesteht.
Der Kläger war seit dem 01. September 2000 bei der Insolvenzschuldnerin zunächst als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Dem Anstellungsverhältnis lag ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 01. September 2000 zugrunde.
Alleinige Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin ist die B B.V. mit Sitz in den Niederlanden. Geschäftsgegenstand der Insolvenzschuldnerin war die Erbringung von Logistikdienstleistungen für die C B.V., eine Tochtergesellschaft der B B.V., sowie für andere Unternehmen der D Unternehmensgruppe. Dabei wurden in angemieteten Geschäftsräumen mit einer Lagerfläche von ca. 6.000 qm nebst Büroräumen Materialien für den Bühnenbau, vor allem Gittertraversen, Bühnenpodeste und Kettenzüge aus der Produktion der B in Rumänien und den Niederlanden eingelagert, kommissioniert und an Kunden ausgeliefert. Neben dem Kläger beschäftigte die Insolvenzschuldnerin zuletzt noch elf Arbeitnehmer und zwei Auszubildende.
Im Dezember 2013 wurde der Kläger zum Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bestellt. Im Zusammenhang mit der Bestellung zum Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin wurde weder schriftlich noch mündlich ein Geschäftsführerdienstvertrag geschlossen. Am 20. Dezember 2017 vereinbarte die Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin mit dem Kläger eine "Änderung zum Arbeitsvertrag" im Hinblick auf die Arbeitszeitregelung. Alle anderen Bestandteile des Arbeitsvertrages sollten nach der Vereinbarung bestehen bleiben.
Für seine Tätigkeit bezog der Kläger eine durchschnittliche monatliche Vergütung von 9.482,89 € brutto, die sich aus einem Festgehalt, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, einem jährlichen Bonus sowie dem geldwerten Vorteil aus der Privatnutzung des ihm überlassenen Dienstfahrzeugs zusammensetzte.
Am 03. Oktober 2019 wurde über das Vermögen der Muttergesellschaft der Insolvenzschuldnerin, der A B.V. das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 14. Oktober 2019 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens lief der Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin weiter. Ab Mitte Dezember 2019 wurden die Logistikdienstleistungen für die neu gegründete D B.V. mit Sitz in den Niederlanden erbracht, die zumindest die wesentlichen Betriebsmittel der A B.V. und der C B.V. aus der Insolvenz übernahm und die Geschäfte fortführte. Hinter der neu gegründeten Gesellschaft steht die E Industries Unternehmensgruppe, die ihren Hauptsitz in der T...