Entscheidungsstichwort (Thema)
Verurteilung zur Zahlung eines Bruttobetrages bei eingefordertem Nettobetrag. Unwirksamkeit einer vertraglichen Ausschlussfrist wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht. Zulässige Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes durch Rechtsverordnung. Teilweise Anrechnung der Bereitschaftszeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit in der 2. PflegeArbbV
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausschlussfrist gem. § 4 der 1. und 2. PflegeArbbV gilt auch dann, wenn die Parteien im Arbeitsvertrag vereinbart haben, dass "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis spätestens innerhalb eines Monats nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses" schriftlich geltend gemacht werden müssen.
2. § 2 Abs. 3 S. 4 der 2. PflegeArbbV vom 27.11.2014 (juris: PflegeArbbV 2), die vom 01.01.2015 bis zum 31.10.2017 galt, lässt es zu, dass geleistete Bereitschaftsdienstzeiten nur teilweise als vergütungspflichtige Arbeitszeit bewertet werden. Das verstößt für den Zeitraum bis zum 31.12.2016 nicht gegen § 1 MiLoG. Rechtsverordnungen, die auf Grundlage von § 11 des Arbeitnehmerentsendegesetzes erlassen worden sind, gehen gem. § 24 Abs. 1 MiLoG (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung) bis zum 31.12.2016 dem MiLoG auch dann vor, wenn der gesetzliche Mindestlohn unterschritten wird. Bei der 2. PflegeArbbV handelt es sich um eine solche Rechtsverordnung.
Normenkette
PflegeArbbV; MiLoG §§ 1, 24; ZPO § 308 Abs. 1; 1. PflegeArbbV § 1 Abs. 3 S. 1, § 2 Abs. 1, §§ 4-5; 2. PflegeArbbV § 2 Abs. 3 S. 4, § 4; BGB §§ 134, 611a Abs. 2; MiLoG § 24 Abs. 1; AEntG § 9 S. 3, §§ 11, 13
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 22.08.2018; Aktenzeichen 3 Ca 2853/17) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 22.08.2018 - 3 Ca 2853/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin Ansprüche auf Vergütungszahlung zustehen, die sie auf die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (nachfolgend: PflegeArbbV) sowie - hilfsweise - auf das Mindestlohngesetz stützen will.
Der beklagte Verein bietet Tagespflege, ambulante Pflegedienste, ambulante Wohnbetreuung, Kurzzeitpflege sowie die Betreuung von Hausgemeinschaften und Seniorenwohnen an. Die Klägerin ist seit Dezember 2012 in einer Einrichtung des Beklagten auf der Basis einer geringfügigen Beschäftigung als Nachtwache tätig.
Die Parteien vereinbarten zuletzt eine "Änderung zum Arbeitsvertrag für geringfügig entlohnte Beschäftigte" vom 19.09.2014. Dort heißt es unter anderem:
§ 3 Vergütung
Die Arbeitnehmerin erhält eine monatliche Vergütung (max. 450,00 Euro) nach Berechnung der geleisteten monatlichen Dienste. Die Vergütungen betragen: Im Nachtbereitschaftsdienst 63,44 Euro, zuzüglich Nachtzuschla.g (...) Die Vergütung ist jeweils zum 8. Werktag des Folgemonats fällig und wird auf das von Ihnen angegebene Konto überwiesen. (...)
§ 9 Probezeit, Kündigungsfristen
(...) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen spätestens innerhalb eines Monats nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden. Andernfalls sind sie verwirkt.
Die erste Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom 15.07.2010 (1. PflegeArbbV) lautet auszugsweise:
§ 1 Geltungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
(2) Diese Verordnung gilt für Pflegebetriebe. Dies sind Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen für Pflegebedürftige erbringen. Diese Verordnung gilt nicht für Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante Krankenpflegeleistungen für Pflegebedürftige erbringen. 4Keine Pflegebetriebe im Sinne des Satzes 2 sind Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen, sowie Krankenhäuser.
(3) Diese Verordnung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Absatz 4 Nummer 1 bis 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch erbringen. (...)
§ 2 Mindestentgelt
(1) Das Mindestentgelt beträgt im Gebiet der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein - ab dem 1. August 2010: 8,50 Euro je Stunde,-ab dem 1. Januar 2012: 8,75 Euro je Stunde,-ab dem 1. Juli 2013: 9,00 Euro je Stunde. (...)
§ 4 Ausschlussfrist
Die Ansprüche auf das Mindestentgelt verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
§ 5 Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. August 2010 in Kraft und am 31. Dezember 2014 außer Kraft.
In der zweiten Vero...