Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Urteil vom 09.10.1997; Aktenzeichen 1 Ca 71/97)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 09.10.1997 verkündete Urteil des Arbeitsgericht Bielefeld wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien, zwischen denen nach Maßgabe des einheitlichen Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Fleischwarenindustrie V…-F… vom 13.11.1990 (MTV-Fleischwarenindustrie) ein Arbeitsverhältnis mit einer Beschäftigung der Klägerin als gewerbliche Arbeitnehmerin besteht, streiten um die Kürzung der Entgeltfortzahlung um 20 % in der rechnerisch unstreitigen Höhe aus Anlaß einer nach dem 01.10.1996 eingetretenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO Abstand und auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des am 09.10.1997 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Bielefeld Bezug genommen.

Im übrigen wird wegen einiger Verdeutlichungen, Ergänzungen und Bekräftigungen des beiderseitigen Parteivorbringens sowie des Setzens anderer Akzente gegenüber dem Vortrag in erster Instanz auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze der Parteien und wegen der von ihnen gestellten Anträge auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.08.1998 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die aufgrund Zulassung durch das Arbeitsgericht statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch ordnungsgemäß begründete Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg und führt zur Zurückweisung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Ein Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % ihres Arbeitsentgeltes für die Dauer ihrer unstreitigen Arbeitsunfähigkeit ist nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 9 Ziff. 1 MTV-Fleischwarenindustrie hat der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer Anspruch auf Fortzahlung seiner Bezüge nach Maßgabe des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall vom 27.07.1969 bzw. des § 616 Abs. 2 BGB (das sind 6 Wochen), so daß sich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall lediglich auf 80 % des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts beläuft. Damit haben die Tarifvertragsparteien keine von den damaligen gesetzlichen Bestimmungen des Lohnfortzahlungsgesetzes abweichende Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung getroffen. Tarifliche Verweisung auf gesetzliche Vorschriften sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG in AP Nr. 33 zu § 1 TVG Auslegung; BAG in AP Nr. 24 und 40 zu § 622 BGB; BAG in AP Nr. 4 zu § 34 SchwBeschG 1961; BAG Urteil vom 16.06.1998 – 5 AZR 67/97 –; BAG Urteil vom 01.07.1998 – 5 AZR 456/97 – im Zweifel deklaratorisch, wenn nicht der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Norm im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat. Dabei macht es keinen Unterschied, ob allgemein auf gesetzliche Bestimmungen oder bestimmte Gesetze wie das Lohnfortzahlungsgesetz bzw. die für Angestellte geltenden gesetzlichen Vorschriften verwiesen wird. Mit einer Verweisung auf eine ohnehin anwendbares Gesetz bringen die Tarifvertragsparteien in aller Regel zum Ausdruck, daß das Gesetz und nicht der Tarifvertrag maßgeblich sein soll. Bei der Aufnahme einer Verweisung in den Tarifvertrag haben die Tarifvertragsparteien zwar meist genaue Vorstellungen vom Inhalt der gesetzlichen Regel. Eine solche Vorstellung ist aber bei Verweisung mit dem Willen zur Schaffung einer eigenständigen Regelung nicht gleichzusetzen. Mit Verweisung auf gesetzliche Bestimmungen bringen die Tarifvertragsparteien üblicherweise gerade ihren fehlenden Regelungswillen zum Ausdruck. Die Verweisung macht nur deutlich, daß kein eigenes Regelwerk geschaffen werden sollte, sondern daß es bereits ein Regelwerk gab, das ohnehin galt (BAG Urteil vom 16.06.1998 – 5 AZR 67/97 –).

Der Tarifvertrag verweist nicht auf eine bestimmte Fassung des Lohnfortzahlungsgesetzes und des § 616 BGB. Nichts spricht dafür, daß die Tarifvertragsparteien mit derselben Formulierung nunmehr eine Regelung mit anderem Inhalt treffen wollten. Bei Abschluß des Tarifvertrages vom 13.11.1990 galt das Entgeltfortzahlungsgesetz noch in seiner ursprünglichen Fassung, wonach der Arbeitnehmer Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Höhe von 100 % hatte. Zu diesem Zeitpunkt bestand für die Tarifvertragsparteien auch kein Anlaß, die Höhe der Entgeltfortzahlung nunmehr eigenständig zu regeln.

Aus dem Umstand, daß nach § 9 Ziff. 3 MTV-Fleischwarenindustrie langjährig beschäftigte Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ab der 7. Kalenderwoche einen Zuschuß zum Krankengeld in Höhe des Differenzbetrages zu 100 % des Nettoentgelts erhalten, folgt nicht, daß § 9 Ziff. 1 MTV-Fleischwarenindustrie als konstitutiv anzusehen wäre. Der konstitutive Charakter eines Teils eines zusammenhängenden Regelungsbereichs läßt noch keinen Schluß auf den Charakter des übrigen Teils der auszulegenden Bestimmung zu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge