Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine tatsächliche Freistellung des Arbeitnehmers durch bloße Freistellungserklärung des Arbeitgebers nach EMTV. Verfall des Freistellungsanspruchs nach EMTV am Jahresende. Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers bei unberechtigter Weigerung der Erfüllung des Freistellungsanspruchs durch Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf tatsächliche Realisierung der Freistellung nach § 3d des einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalen vom 18.12.2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 14.02.2018 (EMTV) wird nicht allein durch die Freistellungserklärung des Arbeitgebers erfüllt. Das Risiko der Nutzungsmöglichkeit der arbeitsfreien Zeit bei einer erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage trifft vielmehr den Arbeitgeber. Eine Erfüllung des Freistellungsanspruchs soll ausnahmsweise dann ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitnehmer nach zeitlicher Festlegung der Freistellung in diesem Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt.
2. Der Anspruch auf Freistellung nach § 3d EMTV geht am Jahresende unter, soweit er bis dahin nicht genommen wurde. Die Erfüllung des Anspruchs wird dem Arbeitgeber nach Ablauf des Kalenderjahres nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, da es sich um einen Anspruch "für" das Folgejahr handelt.
3. Hat der Arbeitgeber die (Nach-)Gewährung der Freistellung im laufenden Kalenderjahr rechtswidrig verweigert, obwohl sie personenbedingt möglich war, und ist der Freistellungsanspruch deshalb am Jahresende untergegangen, hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch auf Ersatzgewährung im Sinne einer Naturalrestitution. Ein Rückfall auf das tarifliche Zusatzgeld (§ 2 Nr. 2 a TV T-ZUG), wie ihn § 3d Ziff. 3 Abs. 3 EMTV vorsieht, scheidet in einem derartigen Fall aus.
Normenkette
EMTV für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalen vom 18.12.2013 § 3d Fassung: 2018-02-14; BGB § 275 Abs. 4, §§ 283, 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 07.05.2020; Aktenzeichen 1 Ca 2331/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.05.2020 - 1 Ca 2331/19 - wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das vorgenannte Urteil abgeändert.
Es wird festgestellt, dass dem Kläger für das Kalenderjahr 2019 noch zwei Freistellungstage nach § 3d des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalen vom 18.12.2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 14.02.2018 zustehen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Freistellung nach § 3d des einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalen vom 18.12.2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 14.02.2018 (zukünftig: "EMTV"), hilfsweise über die Zahlung eines tariflichen Zusatzgeldes nach § 2 Nr. 2a des Tarifvertrages Tarifliches Zusatzgeld für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalen vom 14.02.2018 (zukünftig: "TV T-ZUG") im Umfang von zwei Tagen.
Der am 18.07.19XX geborene und verheiratete Kläger ist seit dem 16.02.2016 bei der Beklagten in der Abteilung "Bearbeitungszentrum" beschäftigt. Er ist zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Mindestens ein Kind hat das achte Lebensjahr nicht vollendet, lebt mit dem Kläger in häuslicher Gemeinschaft und wird von ihm selbst betreut und erzogen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit unter anderem der seit dem 01.01.2019 der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 08.11.2018 (zukünftig: "MTV"), bis dahin der EMTV in der Fassung vom 14.02.2018 (zukünftig: "EMTV"), das Entgeltrahmenabkommen und der TV T-ZUG vom 14.02.2018 Anwendung.
Nach § 2 TV T-ZUG erhalten Beschäftigte, die jeweils am 31.07. eines Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, ein tarifliches Zusatzgeld.
In § 3d EMTV heißt es dazu auszugsweise:
"§ 3d Tarifliche Freistellungszeit in besonderen Fällen
Beschäftigte können nach Maßgabe nachfolgender Bestimmungen verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes nach § 2 Nr. 2 a) TV T-ZUG eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.
1. Die Möglichkeit eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen, besteht für folgende Beschäftigtengruppen:
a) Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, die
in drei oder mehr als drei Schichten oder nur in der Nachtschicht arbeiten (nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 5 Jahren und nachdem sie mindestens 3 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben),
in Wechselschicht arbeiten
(ab dem 1. Januar 2019 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren und nachdem sie 10 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gear...