Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von tariflichen Freistellungstagen. Dynamische Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf Tarifvertrag. Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln. Unbeachtlichkeit des Wechsels der Mitgliedschaft für Wirkung des Tarifvertrags. Parallelentscheidung zu LAG Hamm 4 Sa 1285/19 v. 26.02.2020
Leitsatz (redaktionell)
1. Für ein nach dem 31.12.2001 geschlossenen Arbeitsvertrag gilt eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahmeklausel auf einen bestimmten Tarifvertrag dann, wenn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht als konstitutive Weisungsklausel gemeint und so auch vom Arbeitnehmer verstanden wird.
2. Individualvertragliche Klauseln, die ohne Einschränkung auf einen Tarifvertrag verweisen, sind so auszulegen, dass der Tarifvertrag in der jeweiligen Fassung gelten soll, ohne von vertragsfremden Faktoren abhängig zu sein.
3. Es erfolgt durch die Tarifvertragsparteien keine Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern.
Normenkette
MTV Metall- und Elektroindustrie NRW Fassung: 2018-11-08; TV T-ZUG; ZPO § 97 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Minden (Entscheidung vom 25.06.2019; Aktenzeichen 1 Ca 1145/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 25.06.2019 - 1 Ca 1145/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gewährung von tariflichen Freistellungstagen für das Jahr 2019.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 14.03.2003 als CNC-Fräser gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von ca. 3.600,00 € beschäftigt. Seine wöchentliche Arbeitszeit beträgt 36 Stunden. Er war und ist - auch im Jahr 2019 - ausschließlich in Wechselschicht tätig. Die Beklagte produziert im Bereich Kanalguss und beschäftigt - Stand 01.04.2019 - 134 Arbeitnehmer (davon 3 in der Altersteilzeit-Freizeitphase). In der Regel wird bei ihr zweischichtig in der Fünf-Tage-Woche gearbeitet, bei Bedarf zusätzlich in Nachtschicht und samstags.
Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 12.09.2007. Darin heißt es u.a.:
"§ 1 Vertragsgrundlage
Herr W. ist Tarifmitarbeiter. Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in NRW in ihrer jeweils gültigen Fassung."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird auf ABl. 4 - 7 verwiesen.
In der Tarifrunde 2018 haben der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. und die IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen für die dort in der Metall- und Elektroindustrie Beschäftigten am 14.02.2018 einen "Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld" (TV T-ZUG) vereinbart, der erstmals für das Jahr 2019 eine zusätzliche Einmalzahlung, bestehend aus zwei Komponenten, zugunsten der Beschäftigten vorsieht. Unter Verzicht auf einen Teil des Zusatzentgelts können diese stattdessen nach Maßgabe von § 25 des Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 08.11.2018 (MTV) - bisher § 3d des Einheitlichen Manteltarifvertrags vom 18.12.2003 i.d.F. des Änderungstarifvertrags vom 14.02.2018 - die Gewährung von Freistellungstagen verlangen. § 25 MTV hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
§ 25 Freistellungstage statt T-ZUG (A)
Beschäftigte können nach Maßgabe nachfolgender Bestimmungen verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes nach § 2 Nr. 2 a) TV T-ZUG eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.
25.1 Anspruchsberechtigte
Die Möglichkeit eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen, besteht für folgende Beschäftigtengruppen:
a) Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, die
- in drei oder mehr als drei Schichten oder nur in der Nachtschicht arbeiten (nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 5 Jahren und nachdem sie mindestens 3 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben),
- in Wechselschicht arbeiten
(ab dem 1. Januar 2019 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren" und nachdem sie 10 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben,
ab dem 1. Januar 2020 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 7 Jahren und nachdem sie 5 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben)
und voraussichtlich im Folgejahr in einem der vorgenannten Schichtmodelle beschäftigt sein werden.
b) Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden und / oder Vollzeitbeschäftigte, die nach dem 1. Januar 2019 ihre individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit reduzieren oder in verkürzte Vollzeit wechseln, und
- die einen Angehörigen ersten Grades (Eltern und Kinder), einen Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft oder Schwiegereltern in häuslicher Umgebung pflegen, der mindestens den Pflegegrad 1 aufweist,
oder
- die ihr in häuslicher Gemeinschaft lebendes Kind bis z...