Entscheidungsstichwort (Thema)
"Falsa demonstratio non nocet" bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf abgelöste Versorgungsordnung. Versorgungsschuldner bei Arbeitgeberwechsel innerhalb des Konzerns. Anforderungen an einen verschlechternden Eingriff in die Versorgungszusage. Hoher Rückstellungsbedarf für künftige Versorgungsansprüche als Grund für einen verschlechternden Eingriff. Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch ungünstigere Betriebsvereinbarung. Dreistufiges Prüfungsschema bei Eingriffen in die Versorgungsordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Nehmen die Parteien eines Arbeitsvertrags auf eine mittlerweile abgelöste Versorgungsordnung Bezug, ohne dass es tatsächliche Umstände gibt, die für die Annahme sprechen, dass es dem Willen der Vertragsparteien entspricht, eine betriebliche Altersversorgung nach jener Versorgungsordnung zu vereinbaren, kann nach dem Grundsatz "falsa demonstratio non nocet" angenommen werden, dass eine Versorgung nach der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Unternehmen gültigen Versorgungsordnung gewollt war.
2. Lässt nach den Bestimmungen einer Konzernbetriebsvereinbarung ein Arbeitgeberwechsel innerhalb des Konzerns den Bestand einer Versorgungszusage unberührt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass Versorgungsschuldner der letzte Vertragsarbeitgeber sein soll.
3. Bei einem verschlechternden Eingriff in eine auf einer Konzernbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusage ist ungeachtet der Person des Versorgungsschuldners regelmäßig die wirtschaftliche Lage des Konzerns maßgeblich.
4. Ein außergewöhnlich hoher Rückstellungsbedarf für künftige Versorgungsansprüche kann als "sachlich-proportionaler Grund" im Sinne des dreistufigen Prüfungsschemas des Bundesarbeitsgerichts einen verschlechternden Eingriff in eine auf einer Konzernbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusage rechtfertigen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine neue Betriebsvereinbarung löst eine ältere grundsätzlich auch dann ab, wenn die Neuregelung für den Arbeitnehmer ungünstiger ist. Das Ablösungsprinzip ermöglicht allerdings nicht jede Änderung. Soweit in bestehende Besitzstände eingegriffen wird, sind die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
2. Das dreistufige Prüfungsschema verlangt, den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen: Erstens setzt der Eingriff zwingende Gründe voraus, zweitens können Zuwächse, die sich - wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen - dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Drittens genügen für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten sachlich-proportionale Gründe.
Normenkette
BetrAVG § 1; GG Art. 14 Abs. 1; BGB §§ 133, 157, 613a Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 17.01.2022; Aktenzeichen 8 Ca 1857-21) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 17.01.2022 (8 Ca 1857/21) abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden betrieblichen Altersversorgung.
Der am 03.08.1955 geborene Kläger trat am 01.04.1986 als Meister in der Schreinerei in die A AG ein. Grundlage des damaligen Arbeitsverhältnisses war ein Einstellungsschreiben ("Arbeitsvertrag") vom 23.01.1986. Zum 01.01.1989 wechselte er zur B AG. Diesbezüglich unterzeichnete er mit dieser unter dem 20.12.1988 einen weiteren Arbeitsvertrag. Ob das Arbeitsverhältnis damals im Wege der Betriebsübergangs von der A AG auf die B AG übergegangen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Das Einstellungsschreiben der A AG enthielt unter anderem die nachfolgende Klausel:
" . . .
6. Altersversorgung
Die Ansprüche auf eine spätere Altersversorgung, auf Hinterbliebenenbezüge oder auf Leistungen bei vorzeitiger Berufungs- oder Erwerbsunfähigkeit regeln sich nach der Pensionsordnung der A AG in der jeweils gültigen Fassung.
. . . "
In seinem Arbeitsvertrag mit der B AG findet sich folgende Regelung:
" . . .
6. Altersversorgung
Die Ansprüche auf eine spätere Altersversorgung, auf Hinterbliebenenbezüge oder auf Leistungen bei vorzeitiger Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit regeln sich nach der Pensionsordnung der "E AG".
. . . "
Wegen der weiteren Einzelheiten des Einstellungsschreibens vom 23.01.1986 wird auf Aktenblatt 22 bis 27 und hinsichtlich des Arbeitsvertrags vom 20.12.1988 auf Aktenblatt 62 bis 67 Bezug genommen.
Zum 01.09.1997 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege des Betriebsübergangs auf die C GmbH über. Nachdem die Beklagte ursprünglich vorgetragen hatte, sie sei Rechtsnachfolgerin der B AG, nicht aber der A AG, hat sie in der mündlichen Verhandlung am 22.03.2023 angegeben, sie sei auch nicht Rechtsnachfolgerin der B AG, sondern viel...