Entscheidungsstichwort (Thema)

Stundengutschrift auf Arbeitszeitkonto bei krankheitsbedingtem Ausfall von Bereitschaftsdienst. Unwirksamkeit der AVR Caritas bei Freizeitausgleich für geleistete Bereitschaftsdienste. Zahlungsanspruch bei Ausfall von Bereitschaftsdienst wegen Krankheit

 

Leitsatz (amtlich)

Arbeitnehmern kann aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 4 Abs. 1 EFZG ein Anspruch auf Gutschrift von Stunden auf dem Arbeitszeitkonto zustehen, wenn Bereitschaftsdienste infolge von Arbeitsunfähigkeit ausgefallen sind. Dem stehen die Bestimmungen des Abschnitts XII (b) der Anlage 1 zu den AVR Caritas i. V. m. § 2 Abs. 1 und 3 der Anlage 14 zu den AVR Caritas nicht entgegen. Sie weichen zum Nachteil der Arbeitnehmer, die für erbrachte Bereitschaftsdienste keine Entgeltzahlung, sondern Freizeitausgleich erhalten, von § 4 Abs. 1 EFZG ab und sind insoweit unwirksam.

 

Normenkette

EFZG § 4; AVR Caritas Anl. 1 Abschn. XII (b); AVR Caritas Anl. 14 § 2 Abs. 1, 3; GG Art. 3 Abs. 1; ZPO § 91

 

Verfahrensgang

ArbG Bocholt (Entscheidung vom 12.08.2021; Aktenzeichen 4 Ca 250/21)

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 33,5 Stunden als "Ist-Stunden" in dem Monat, der auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung des Streitfalls folgt, gutzuschreiben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Stundengutschriften für krankheitsbedingt ausgefallene Bereitschaftsdienste von der Beklagten verlangen kann.

Der Kläger ist seit 1996 für die Beklagte als Anästhesiepfleger tätig. Im Arbeitsvertrag, den die Parteien am 18.10.1995 abschlossen, ist unter § 2 geregelt, dass die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des deutschen B (B) in ihrer jeweils geltenden Fassung für das Dienstverhältnis gelten.

Der Kläger ist in der Vergangenheit monatlich mindestens zweimal zu Bereitschaftsdiensten eingeteilt worden. § 7 Abs. 1 der Anlage 31 zu den B bestimmt, dass zum Zwecke der Entgeltberechnung die Zeit des Bereitschaftsdienstes nach dem Maß der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistung bis zu 90 v.H. als Arbeitszeit gewertet wird. Nach § 7 Abs. 3 der Anlage 31 zu den B bestimmt sich das Entgelt für die als Arbeitszeit gewertete Bereitschaftsdienstzeit nach Stundenentgelttabellen (Anhang C der Anlage 31 zu den B). Jedoch sieht § 7 Abs. 6 der Anlage 31 zu den B vor, dass anstelle der Auszahlung des Entgelts für die gewertete Arbeitszeit ein Freizeitausgleich erfolgen kann, sofern der Mitarbeiter dem zustimmt. Die Parteien gehen insoweit übereinstimmend von einem Wahlrecht des Klägers aus. Dieses Wahlrecht übte der Kläger in der Vergangenheit so aus, dass er für geleistete Bereitschaftsdienste kein Entgelt, sondern Freizeitausgleich wählte.

Am 18.01.2020 war der Kläger dienstplanmäßig zu einem Bereitschaftsdienst im Umfang von 24 Stunden, am 17.03.2020 im Umfang von 15,5 Stunden und am 12.05.2021 ebenfalls im Umfang von 15,5 Stunden eingeteilt. Bei diesen Bereitschaftsdiensten handelte es sich um solche der Stufe 3 gem. § 7 Abs. 1 der Anlage 31 zu den B, die mit 90 v.H. als Arbeitszeit zu bewerten sind, da während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich Arbeitsleistungen von mehr als 40 v.H. anfallen. Diese Bereitschaftsdienste leistete der Kläger nicht, da er arbeitsunfähig erkrankt war.

Im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestimmt Abschnitt XII der Anlage 1 zu den B unter anderem Folgendes:

"(a) Wird der Mitarbeiter durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, erhält er Krankenbezüge nach Maßgabe der Absätze b bis i. (...)

(b) Der Mitarbeiter erhält bis zur Dauer von sechs Wochen Krankenbezüge in Höhe der Urlaubsvergütung, die ihm zustehen würde, wenn er Erholungsurlaub hätte." (...)

Zur Höhe der Urlaubsvergütung ist in § 2 der Anlage 14 zu den B unter anderem Folgendes bestimmt:

"(1) Während des Erholungsurlaubs erhält der Mitarbeiter die Dienstbezüge nach Abschnitt II der Anlage 1 zu den B einschließlich der Zulagen, die in Monatsbeträgen festgelegt sind, die er erhalten würde, wenn er sich nicht im Urlaub befände. (...) Beim Vorliegen der Voraussetzungen erhält der Mitarbeiter zusätzlich pro Urlaubstag einen Aufschlag nach Absatz 3.

(...)

(3) Der Aufschlag ermittelt sich aus dem Tagesdurchschnitt

der Zeitzuschläge nach

§ 1 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b bis f der Anlage 6a zu den B,

§ 7 Abs. 1 Buchst. b bis e der Anlage 30 zu den B,

§ 6 Abs. 1 Buchst. b bis f der Anlage 31 zu den B,

§ 6 Abs. 1 Buchst. b bis f der Anlage 32 zu den B,

§ 6 Abs. 1 Buchst. b bis f der Anlage 33 zu den B,

der Überstundenvergütung nach

§ 1 Abs. 3 Unterabs. 2 der Anlage 6a zu den B,

§ 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a der Anlage 30 zu den B,

§ 6 Abs. 1 Satz ...

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