Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungspflicht für Umkleide- und Wegezeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Umkleide- und Wegezeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die zum Tragen von Berufskleidung verpflichtet sind, sind Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (BAG, Beschluss vom 17.11.2015 - 1 ABR 76/13).
2. § 2 Ziff. 10 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer/innen in der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie vom 13.04.2006 schließt das gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht nicht nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG aus.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2 Eingangshs., Abs. 1 Eingangshs.
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 28.06.2016; Aktenzeichen 5 BV 36/15 d) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen - Gerichtstag Düren - vom 28.06.2016 - 5 BV 36/15 d - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass der Antragsteller bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit unter Einschluss von Umkleidezeiten und Wegezeiten von den Umkleideräumen zum Arbeitsplatz bei Schichtbeginn und der Wegezeiten vom Arbeitsplatz zu den Umkleideräumen sowie die Umkleidezeiten bei Schichtende derjenigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen , die nach der Gesamtbetriebsvereinbarung 06/06 - Berufskleidung - vom 13.11.2006 verpflichtet sind, Arbeitskleidung zu tragen, ein Mitbestimmungsrecht hat.
- Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
- Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte bei der Arbeitszeit.
Die Beteiligte zu 2) - im Folgenden: Arbeitgeberin - stellt an zwei Standorten Kartonverpackungen für Getränke und Lebensmittel her und vertreibt diese. An beiden Standorten besteht ein Betriebsrat, im Unternehmen ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet. Im Betrieb in L sind etwa 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt, von diesen sind ca. 650 in den Produktionsbereichen Druck, Endfertigung und Beschichtung sowie in den produktionsnahen Bereichen tätig Der Beteiligte zu 1) - im Folgenden: Betriebsrat - ist der im Betrieb L eingerichtete Betriebsrat.
Die in der Produktion und allen Randbereichen tätigen Mitarbeiter sind verpflichtet, Arbeitskleidung, die die Arbeitgeberin kostenfrei zur Verfügung stellt, zu tragen. Einzelheiten hierzu sind in der "Gesamtbetriebsvereinbarung in 06/06 Berufsbekleidung" (Blatt 64 bis 70 der Akte) geregelt. In Anlage 2a zur GBV 06/06 "Reinigungsanleitung zur Berufsbekleidung" heißt es:
"Das Umziehen muss in den Umkleideräumen erfolgen. Die Arbeitskleidung darf keinesfalls nach Hause oder auf dem Arbeitsweg getragen werden. Sicherheitsschuhe gehören zur Firmenkleidung und unterliegen daher denselben Bestimmungen."
Die Betriebe der Arbeitgeberin werden u. a. vom "Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/innen in der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie vom 13.04.2006" (MTV PPV) sowie vom "Rahmentarifvertrag für die Angestellten der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie von Düren, Jülich, Euskirchen und Umgebung vom 01.02.1997 in der Fassung vom 27.06.2006" (RTV PPV) erfasst. § 2 MTV PPV lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 2 Arbeitszeit
1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 35 Stunden.
Unter Berücksichtigung der Wettbewerbssituation sowie zur Sicherung der Arbeitsplätze kann die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Arbeitnehmergruppen, Betriebsteile, ganze Betrieb oder Nebenbetriebe befristet wie folgt verlängert werden: (...)
2. Die Arbeitszeit ist für den einzelnen Arbeitnehmer auf maximal 5 Tage zu verteilen. (...)
3. In Betrieben mit Betriebsrat ist die Verteilung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen durch Betriebsvereinbarung zu regeln.
(...)
7. Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit werden für den gesamten Betrieb oder für Betriebsabteilungen mit dem Betriebsrat vereinbart. (...)
10. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer in der jeweils festgesetzten Arbeitszeit zu beschäftigen. Der Arbeitnehmer hat die Arbeit pünktlich zu beginnen und darf sie erst mit dem Zeitpunkt beenden, an dem der Arbeitsschluss festgesetzt ist. Waschen und Umkleiden vor Beendigung der Arbeitszeit ist nicht gestattet."
Wegen der weiteren Einzelheiten des MTV PPV wird auf Blatt 20 bis 31 der Akte Bezug genommen. Der RTV PPV enthält in seinem § 2 (Blatt 35 bis 37 der Akte) im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelung zur Arbeitszeit der Angestellten.
In einer zwischen den Beteiligten geschlossenen Betriebsvereinbarung "Arbeitsordnung" vom 17.03.1992 ist in Abschnitt "III. Arbeitszeit" Folgendes geregelt.
"§ 13 Regelmäßige Arbeitszeit
1. Die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit richtet sich nach dem gesetzlichen, tariflichen und einzelvertraglichen Bestimmungen. Begin...