Rechtsmittel zugelassen
Entscheidungsstichwort (Thema)
Besorgnis der Befangenheit. Einigungsstellenvorsitzender. Aussetzung. Wartepflicht. Verfahrensfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Der Einigungsstellenvorsitzende kann in entsprechender Anwendung der §§ 103 Abs. 2 ArbGG, 1032 Abs. 1 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn sich im laufenden Einigungsstellenverfahren Anhaltspunkte für seine Parteilichkeit ergeben (im Anschluß an BAG vom 09.05.1995 EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 66).
2. Wird das Ablehnungsgesuch etwa in Verschleppungsabsicht mißbräuchlich gestellt oder bedarf es einer kurzfristigen Sachentscheidung der Einigungsstelle, dann kann die Einigungsstelle in entsprechender Anwendung des § 1037 ZPO mit der Stimme des Vorsitzenden die Fortführung des Verfahrens beschließen. Der Spruch der Einigungsstelle ist in solchen Fällen auflösend bedingt im Hinblick auf eine Entscheidung des Arbeitsgerichts im Verfahren nach § 98 ArbGG, mit der die Ablehnung für begründet erklärt wird.
3. Ignoriert der Einigungsstellenvorsitzende das sowohl beim Arbeitsgericht anhängig gemachte als auch vor der Einigungsstelle angebrachte Ablehnungsgesuch, ohne eine Vorabentscheidung der Einigungsstelle über eine Aussetzung oder Fortführung des Einigungsstellenverfahrens herbeizuführen, dann liegt ein erheblicher Verfahrensfehler vor, der zur Unwirksamkeit des von der Einigungsstelle gefällten Spruchs (hier eines Sozialplans) führt.
Normenkette
ArbGG §§ 98, 103; BetrVG § 76; ZPO §§ 42, 47, 1032, 1037
Verfahrensgang
ArbG Köln (Beschluss vom 06.03.1996; Aktenzeichen 9 BV 142/95) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Köln vom 06.03.1996 – 9 BV 142/95 – wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 05.07.1995 zum Sozialplan für den geschlossenen Unternehmensbereich Frühstücksfernsehen in Berlin.
Die Antragstellerin (im folgenden: Arbeitgeberin) ist ein privater Fernsehsender mit Sitz in Köln, bei dem circa 800 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Neben der Hauptverwaltung und den Produktionsstudios am Kölner Firmensitz unterhält die Arbeitgeberin weitere Produktionsstätten in Berlin, Bonn, Frankfurt und München. Die Arbeitnehmer haben für den Betrieb einschließlich der Außenstellen in Berlin und München einen einheitlichen Betriebsrat gewählt, der sich ausschließlich aus in Köln tätigen Arbeitnehmern zusammensetzt.
Zum Unternehmen der Arbeitgeberin gehörte in der Vergangenheit auch der Berliner Unternehmensbereich „Frühstücksfernsehen”, in dem die mehrstündige Sendung „Guten Morgen Deutschland” produziert wurde. Anfang November 1994 entschloß sich die Arbeitgeberin, dieses Programm einzustellen und ihren ausschließlich mit der Produktion dieses Frühstücksfernsehens befaßten Unternehmensbereich in Berlin, in dem einschließlich der Volontäre insgesamt 56 Arbeitnehmer beschäftigt waren, zu schließen. Am 28.11.1994 stellte die Arbeitgeberin die Produktion der Sendung ein.
Bereits am 04.11.1994 hatte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über ihre Schließungsabsicht informiert und am 07.11.1994 darum gebeten, kurzfristig in Verhandlungen über den Abschluß eines Sozialplans einzutreten. Auch bot sie ein Gespräch über den Abschluß eines Interessenausgleichs an, obwohl sie hierzu als Tendenzunternehmen nach ihrer Meinung nicht verpflichtet war. Ein Interessenausgleich kam in der Folgezeit nicht zustande.
Ende Dezember 1994 sprach die Arbeitgeberin die ersten Kündigungen wegen der Schließung des Unternehmensbereichs „Frühstücksfernsehen” aus. Mit insgesamt 17 Arbeitnehmern wurden im November und Dezember 1994 jeweils Aufhebungsvereinbarungen mit Abfindungen geschlossen.
Nach dem Scheitern der Sozialplanverhandlungen im Januar 1995 beantragten beide Seiten beim Arbeitsgericht die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden. Am 20.02.1995 einigten sich die Beteiligten schließlich in dem Verfahren 2 BV Ha 6/95 auf den Direktor des Arbeitsgerichts B, Herrn Dr. J, als Vorsitzenden der Einigungsstelle. Die konstituierende Sitzung der Einigungsstelle fand dann am 03.04.1995 unter dem Vorsitz von Herrn Dr. J mit jeweils drei Beisitzern der beiden Betriebsparteien statt. Als Verfahrensbevollmächtigter des Betriebsrats trat Herr Rechtsanwalt Dr. B auf. Dem Einigungsstellenvorsitzenden wurden unter anderem die wechselseitigen Entwürfe eines Sozialplans ausgehändigt. Im übrigen diente die erste Verhandlungsrunde vor der Einigungsstelle im wesentlichen der Sachverhaltsfeststellung.
Zur zweiten Sitzung der Einigungsstelle am 20.04.1995 legte der Vorsitzende eine von ihm erstellte und so bezeichnete „Tischvorlage” vor, die als Arbeitspapier für die weiteren Verhandlungen dienen sollte. Ferner legte er als Beispiel für einen unter seinem Vorsitz zustandegekommenen Sozialplan den „Sozialplan ESCOM” den Mitgliedern der Einigungsstelle vor. Nach dem Ergebnis der Verhandlungsrunde vom 20.04.1995 sollten beide Betriebsparteien...