Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtversorgung. Eingriff in die Anpassungsdynamik. Wegfall der Geschäftsgrundlage. Zweckverfehlung. Äquivalenzstörung. Gesamtrentenfortschreibung. Sozialversicherungsrente. Beamtenbesoldung. Gesetzesänderungen
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Widerrufsgrund der wirtschaftlichen Notlage kommen die im allgemeinen Zivilrecht anerkannten Anwendungsfälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage weiterhin auch im Betriebsrentenrecht in Betracht.
2. Wenn der Arbeitgeber im Rahmen eines Gesamtversorgungssystems eine Betriebsrente zusagt, die die Lücke zwischen Sozialversicherungsrente und einer an den jeweils aktuellen Bezügen der Beamtenbesoldung orientierten Richtgröße schließen soll, so hat er vertraglich das Risiko übernommen, welches darin besteht, dass die wirtschaftliche Belastung aus der Rentenzusage aufgrund der Dynamik der Eckgrößen Schwankungen unterliegt.
3. Abgesehen von extremen Ausnahmefällen sind bei vertraglicher Risikoübernahme Rechte aus einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auch bei erheblichen Kostensteigerungen grundsätzlich ausgeschlossen. Bei der Würdigung einer real eingetretenen Mehrbelastung zu einem bestimmten Stichtag dürfen im übrigen auch unvorhergesehene Minderbelastungen aus der Vergangenheit nicht außer Acht gelassen werden.
4. Zwar kann auch eine gänzlich unvorhersehbare gravierende Änderung der Gesetzeslage zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen. Für die Erteilung einer Versorgungszusage erscheint es jedoch geradezu typisch, dass deren wirtschaftliche Auswirkungen erst Jahrzehnte später einzutreten pflegen. Bei derart langen Zeiträumen können Gesetzesänderungen, die sich negativ auf die wirtschaftliche Belastung durch die Betriebsrentenzusagen auswirken, realistischerweise kaum als unvorhersehbar gewertet werden.
Normenkette
BGB § 313; BetrAVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Aktenzeichen 5 Ca 8646/04) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der vom Beklagten zu zahlenden Betriebsrente.
Der am 02.04.1929 geborene Kläger war seit dem 01.04.1968 bis zum 31.07.1992 bei dem Beklagten beschäftigt. Seit dem 01.08.1992 bezieht er Altersrente und erhält seitdem auch von dem Beklagten eine vorgezogene betriebliche Altersversorgung.
Grundlage der betrieblichen Altersversorgung des Klägers ist eine Betriebsvereinbarung vom 25.06.1976, geändert durch die Betriebsvereinbarungen vom 04.06.1993 und vom 17.11.1995 (Bl. 6 ff. d. A.). Es handelt sich um eine sogenannte Gesamtversorgung. Der Ruhegehaltsanspruch beträgt nach zehnjähriger anrechnungsfähiger Dienstzeit 35 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge und steigt mit jedem weiteren Dienstjahr bis zum vollendeten 25. Dienstjahr um je 2 %, danach um je 1 % bis zum Höchstsatz von 75 %. Auf den in dieser Weise berechneten Versorgungsprozentsatz wird die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet.
Der dem Kläger nach der Erstfestsetzung geschuldete monatliche Betrag wurde von dem Beklagten jährlich wie folgt dynamisiert: Die der Erstfestsetzung der Versorgungsbezüge zugrunde liegenden ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge (Versorgungsgrundlage) wurden im Rahmen der Gesamtrentenfortschreibung bislang jährlich zeitgleich nach Maßgabe des Anstiegs der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge nach der Besoldungsordnung für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen fortgeschrieben. Hieraus wurde unter Zugrundelegung der individuellen Versorgungsdaten der Betrag der Gesamtversorgung jährlich neu berechnet. Auf den dadurch berechneten Gesamtversorgungsbetrag wurde der anrechnungsfähige Teil der aktuellen, um die jährliche Anpassung erhöhten individuellen Sozialversicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zeitgleich mit deren Anpassungstermin angerechnet.
Seit dem 01.04.2004 werden die Versorgungsbezüge für den Kläger ebenso wie bei den anderen Versorgungsempfängern des Beklagten mit einer Gesamtversorgungszusage in einer von der Entwicklung der Sozialversicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung unabhängigen Art wie folgt dynamisiert: Der auf der Grundlage der Gesamtrentenfortschreibung im Jahre 2003 für den Kläger berechnete und von dem Beklagten geschuldete Versorgungsbetrag wird als Nominalbetrag zugrunde gelegt und ab 2004 ausschließlich nach dem jeweils eintretenden Erhöhungsprozentsatz der Tabellen der Landesbesoldungsordnung für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen zeitgleich zum Erhöhungstermin der Landesbesoldungsordnung dynamisiert. Eine Berücksichtigung der Veränderungen der Sozialversicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt seither für den monatlichen Versorgungsbezug und die Sonderzuwendung nicht mehr.
Parallel zu der zum 01.04.2004 erfolgten Erhöhung der Tabellenvergütung der Landesbesoldungsordnung für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen um 1 % monatlich errechnete der Beklagte auf der Grundlage seiner neuen Dynamisierungsformel zum 01.04.2004 für den Kläger einen Betriebsrentenanspruch in Höhe von 2.302,39 EUR ...