Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Tätlichkeit. Außerordentliche Kündigung. Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern
Leitsatz (amtlich)
Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern können auch ohne vorherige Abmahnung einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 22.02.2012; Aktenzeichen 2 Ca 2452/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 22.02.2012 - 2 Ca 2452/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.
Der Kläger ist seit Mai 2005 bei der Beklagten als Produktionshelfer beschäftigt. Am 27.09.2011 kam es vor dem Betriebsgelände zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Arbeitskollegen B mit beiderseitigen körperlichen Verletzungen. Die Beklagte ließ das befristet bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter B zum 15.11.2011 auslaufen und kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 28.09.2011 fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Klägers mit Urteil vom 22.02.2012 (Bl. 105 ff. d. A.) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht Opfer eines gewaltsamen Angriffs, sondern Teilnehmer einer exzessiv geführten Schlägerei gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das ihm am 02.04.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.04.2012 Berufung eingelegt und diese unter dem 03.05.2012 begründet.
Der Kläger behauptet, er sei von dem Arbeitskollegen B mit einem Messer angegriffen worden und habe lediglich in Notwehr gehandelt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angegriffenen Urteils festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 28.09.2011 nicht beendet wurde, sondern vielmehr über den 28.09.2011 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Kläger habe jedenfalls die Grenzen des von ihm reklamierten Notwehrrechts deutlich überschritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis durch Vernehmung des Zeugen S erhoben, über die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe vor der Auseinandersetzung im Betrieb angekündigt, dass er sich mit dem Kollegen B schlagen wolle. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.11.2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.
II. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die fristlose Kündigung vom 28.09.2011 ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt.
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG, Urt. v. 19.04.2012- 2 AZR 258/11 - m.w.N.).
2. Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern können auch ohne vorherige Abmahnung einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Ein tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen stellt eine schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des anderen Arbeitnehmers dar. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind. Er hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und Mitarbeiter verletzt werden und ggf. ausfallen. Ferner kann der Arbeitgeber auch berücksichtigen, wie sich ein solches Verhalten auf...