Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Rechts auf Widerspruch gegen einen Betriebsübergang
Leitsatz (redaktionell)
1. Zu der erforderlichen Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs für den Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehört u.a. der Hinweis auf das Haftungssystem, welches sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB ergibt.
Die gebotene Information beinhaltet auch die Darstellung der begrenzten gesamtschuldnerischen Nachhaftung gemäß § 613a Abs. 2 BGB. Hiernach haftet der bisherige Arbeitgeber gesamtschuldnerisch mit dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach § 613a Abs. 1 BGB, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach dem Übergang fällig werden.
Werden solche entstandenen Verpflichtungen erst nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie nur zeitanteilig.
Nur die vollständige Darstellung des Haftungssystems versetzt die Arbeitnehmer in die Lage, gegebenenfalls näheren Rechtsrat einzuholen, wer in welchem Umfang für welche Ansprüche haftet.
2. Das neben dem Zeitmoment für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines Verhaltens des Arbeitnehmers davon ausgehen durfte, der Widerspruch werde nicht mehr ausgeübt.
Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer zu erkennen gegeben hat, er habe den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber und diesen damit als seinen neuen Arbeitgeber akzeptiert. Regelmäßig ist dies anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebserwerber disponiert hat.(Anschluss an - BAG - 8 AZR 18/10 - 26.05.2011).
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1, § 242
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 11.11.2015; Aktenzeichen 4 Ca 1615/15) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 11.11.2015 - 4 Ca 1615/15 - abgeändert und die Klage, einschließlich der Klageerweiterung abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über den 01.09.2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht, nachdem der Betrieb der Beklagten zu diesem Zeitpunkt auf V C S GmbH (VCS) übergegangen ist, der Kläger seitdem dort beschäftigt ist und mit Schreiben vom 03.06.2015 dem Betriebsübergang 2015 widersprochen hat.
Der am 1966 geborene Kläger war seit 1983 als Angestellter bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, zuletzt im Betrieb Kundenniederlassung Spezial beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die betrieblich/fachlich jeweils einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.
Am 01.09.2007 ging der Betrieb Kundenniederlassung Spezial auf die V C S GmbH (VCS) über, einer 100%iger Tochter der Beklagten. Hierüber wurde der Kläger mit Schreiben vom 26.07.2007 unterrichtet. Mit Schreiben vom 03.06.2015 widersprach der Kläger dem Betriebsübergang von der Beklagten zur VCS.
Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt in die Tarifstufe T8, Gruppenstufe 4, bei einer Wochenarbeitszeit von 34 Stunden eingruppiert. Seit dem 01.09.2007 arbeitet er bei der VCS. Seine wöchentliche Arbeitszeit beträgt dort 38 Stunden.
Zum 01.06.2008 versetzte die VCS, bei welcher der Kläger an Schulungen teilnahm, den Kläger vom Standort S , nach Verlagerung seiner bisherigen Tätigkeit auf eine andere Tochtergesellschaft der Beklagten (DT KS) nach R , wo für den Kläger und einen weiteren Beschäftigten neue Büroräume angemietet wurden. Ende 2011 erfolgte wegen Wegfalls der bisherigen Tätigkeit des Klägers ein Projekteinsatz im Wege eines Dienstleistungsvertrages zwischen VCS und einer Tochtergesellschaft der Beklagten (DT KS) mit Einsatzort S . Nach Projektende war die Regelarbeitsstelle des Klägers wieder in R , wobei sich erneut die Tätigkeit des Klägers änderte. Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen wurde dem Kläger ermöglicht seit Spätsommer 2013 wieder in S zu arbeiten.
Im Jahr 2016 wehrte sich der Kläger vor dem Arbeitsgericht Bonn gegen eine Anordnung der VCS, die Arbeit am Dienstort B aufzunehmen. Die Parteien schlossen im Gütetermin am 23.03.2016 einen Vergleich.
Mit vorliegender Klage und Klageerweiterung hat der Kläger die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten begehrt sowie Zahlung von Annahmeverzugslohn für den Zeitraum Januar bis Oktober 2015 sowie die Weiterbeschäftigung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, einschließlich der Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags und Weiterbeschäftigungsantrags in vollem Umfang und hinsichtlich der Annahmeverzugsansprüche teilweise stattgegeben. Auf das Urteil (Bl. 196 - 205 d. A.) wird verwiesen. Der Kläger hat die Kla...