Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung wegen Betriebsstilllegung. Betriebsbegriff als zentraler Bezugspunkt des Massenentlassungsschutzes. Maßgeblichkeit der letzten aktiven Betriebsstätte für die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG in der Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung der für die Verpflichtung zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige maßgeblichen Schwellenwerte gem. § 17 Abs. 1 KSchG ist nach Auflösung der betrieblichen Strukturen auf die letzte aktive Betriebsstätte abzustellen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Stilllegung des gesamten Betriebs rechtfertigt die betriebsbedingte Kündigung der Beschäftigten, da für sie keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Auch eine geplante Betriebsstilllegung reicht aus, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungen den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen.
2. Ist eine Flughafenstation nicht nur vorübergehend eingerichtet und ermöglicht sie den Flugbetrieb an diesem Flughafen, ist sie ein Betrieb i.S.d. RL 59/98/EG, denn sie verfügt über technische Mittel und eine organisatorische Struktur einschließlich einer örtlichen Leitung, die das Cockpitpersonal anweist und führt.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-2, § 17 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; RL 98/59/EG Art. 3 Abs. 1; BGB § 134
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 28.05.2021; Aktenzeichen 21 Ca 5919/20) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 28.05.2021 - 21 Ca 5919/20 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit ordentlicher, betriebsbedingter Kündigungen.
Der am .1965 geborene, verheiratete und gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 03.01.1996 bei der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) als verantwortlicher Flugzeugführer zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 13.253,42 Euro beschäftigt. Sein Einsatzort war zuletzt die Station der Schuldnerin in K .
Die Schuldnerin war eine Fluggesellschaft mit Sitz in B , die verschiedene Stationen an inländischen Flughäfen unterhielt, u.a. am Flughafen K /Bo . Insgesamt waren in den Bereichen Cockpit, Kabine und am Boden im August 2017 über 6.000 Personen bei der Schuldnerin beschäftigt. Die Leitung des Flugbetriebs in operativer Hinsicht oblag dem "Head of Flight Operations", der in B ansässig war. Die gesamte Steuerung des Flugbetriebs erfolgte zentral von B aus dem dortigen Operation Control Center. Für die einzelnen Stationen waren Regionalmanager tätig, denen sog. Areamanager beigeordnet waren.
Gem. § 117 Abs. 2 BetrVG war für das Cockpitpersonal durch Abschluss des "Tarifvertrags Personalvertretung (TV PV) für das Cockpitpersonal der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG" eine Personalvertretung (im Folgenden: PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den "Tarifvertrag Personalvertretung (TV PV Kabine) für das Kabinenpersonal der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG" eine Personalvertretung errichtet. Beide Gremien hatten ihren Sitz in B . Das Bodenpersonal wurde durch die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, West und Süd) und den Gesamtbetriebsrat vertreten.
Die Schuldnerin setzte im Flugbetrieb ausschließlich geleaste Flugzeuge ein. Seit Anfang des Jahres 2017 führte sie neben dem eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb auch Flüge im sogenannten "Wet-Lease", insbesondere für die E GmbH, durch. Hierbei stellte die Schuldnerin die von ihr selbst geleasten Flugzeuge der E GmbH als weiterer Leasingnehmerin nebst Besatzung, Wartung und Versicherung zur Verfügung, wobei die Personalplanung bei der Schuldnerin verblieb.
Am 15.08.2017 beschloss das Amtsgericht Charlottenburg (Az. 36a IN 4295/17) auf Antrag der Schuldnerin vom gleichen Tag die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen in vorläufiger Eigenverwaltung und bestellte am 16.08.2017 den Beklagten zum vorläufigen Sachwalter. Es wurde ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt. Hiernach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am 15.09.2017 lag kein annahmefähiges Angebot vor. Daraufhin wurde beschlossen, weitere Verhandlungen mit der Lufthansa-Gruppe sowie der Fluggesellschaft e Europe Airline GmbH zu führen, die Interesse für einzelne Vermögenswerte der Schuldnerin bekundet hatten.
Am 12.10.2017 unterzeichnete der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung, nach der der operative Flugverkehr im Namen und auf Rechnung der Schuldnerin zum 28.10.2017 eingestellt werden und die im Rahmen des Wet Lease gegenüber der E GmbH mit 13 Flugzeugen zu erbringenden Dienstleistungen bis maximal...