Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 17.04.1996; Aktenzeichen 2 Ca 305/96) |
Nachgehend
Tenor
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 17.04.1996 – 2 Ca 305/96 – wird zurückgewiesen.
2) Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Einkommenssteuer durch die Beklagte.
Der Kläger war als Maschinenbautechniker bei den Britischen Stationierungsstreitkräften bis zum 30.09.1993 beschäftigt. Wegen seiner Entlassung hat er Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 des Tarifvertrags zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31.08.1971. Danach wird Überbrückungsbeihilfe u.a. gezahlt zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß der Arbeitslosigkeit. Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit ist die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte tarifvertragliche Grundvergütung. Die Überbrückungsbeihilfe beträgt im ersten Jahr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 100 %, vom zweiten Jahr an 90 % des Unterschiedsbetrags zwischen den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und der um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderten tarifvertraglichen Grundvergütung. Weiterhin heißt es in § 4 Nr. 4 des einschlägigen Tarifvertrags:
„Wird die Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit oder der gesetzlichen Kranken- oder Unfallversicherung gezahlt, so ist sie um den zur Deckung der Lohnsteuer erforderlichen Betrag aufzustocken.”
Der Kläger erhielt im Jahr 1994 Arbeitslosengeld, zu dem die Beklagte ihm Überbrückungsbeihilfe zahlte. Bei der monatlichen Abrechnung fielen keine Lohn- und Kirchensteuer an, so daß es nicht zu einer Aufstockung der Überbrückungsbeihilfe um derartige Steuerbeträge kam.
Mit Bescheid vom 04.05.1995 setzte das zuständige Finanzamt unter Berücksichtigung des sog. Progressionsvorbehaltes gemäß § 32 b Einkommenssteuergesetz (EStG) die vom Kläger für 1994 zu zahlende Einkommenssteuer auf DM 1.456,– fest. Die Erstattung dieses Betrages hat der Kläger mit der Klage verlangt. Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 1.456,– netto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit – 18.12.1995 – zu zahlen,
entsprochen unter Ablehnung der Auffassung der Beklagten, für die Aufstockung der monatlich zu zahlenden Überbrückungsbeihilfe kämen nur monatlich anfallende Lohnsteuerabzüge, nicht aber die jährlich zu ermittelnde Einkommenssteuer in Betracht.
Gegen das ihr am 05.08.1996 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 30.08.1996 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.10.1996 am 18.10.1996 begründet worden ist. Sie meint, schon der Wortlaut des § 4 Nr. 4 des einschlägigen Tarifvertrags erfasse bei der Aufstockung der Überbrückungsbeihilfe nur die Lohn- und nicht die Einkommenssteuer. Ihre Praxis entspreche sowohl dem Willen der Tarifvertragspartei ÖTV als auch dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, weil sonst die Tarifvertragsparteien eine Rückzahlung der Überbrückungsbeihilfe im (umgekehrten) Fall der Steuererstattung und eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Vorlage des Einkommenssteuerbescheids hätten vereinbaren müssen. Im übrigen sei die Auffassung des Klägers zwar im vorliegenden Fall, aber nicht generell praktikabel.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und widerspricht dem Vortrag der Beklagten.
Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf ihre im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).
2. In der Sache ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht, dessen Entscheidungsgründe sich die Berufungskammer nach §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 543 Abs. 1 ZPO zu Eigen macht, hat dem Klageantrag zu Recht entsprochen. Zu ergänzen bzw. zu verdeutlichen bleibt das Folgende.
Tarifnormen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und herrschender Meinung in der Literatur wie Gesetze auszulegen (s. dazu im einzelnen BAG, Urteil vom 16.05.1995 – 3 AZR 395/94 = § 1 TVG Auslegung Nr. 29, m.w.N.). Zunächst ist vom Wortlaut der Tarifnorm auszugehen. Er darf jedoch nicht überbetont werden. Vielmehr ist der maßgebliche Sinn der Vorschrift zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften (BAG, a.a.O.). Erst dann, wenn der Wortlaut, die Systematik und der sich daraus ergebende Regelungszweck des Tarifvertrags keine zweireisfreien Auslegungsergebnisse zulassen, können die Gerichte für Arbeitssachen weitere Kriter...