Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung. Regress. Teilurteil. Darlegungs- und Beweislast. Bestreiten mit Nichtwissen. haftungsausfüllende Kausalität
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Ausnahme von dem Zurückverweisungsverbot des § 68 ArbGG kommt in Betracht, wenn durch den Erlass eines Teil-Urteils die vom Berufungsgericht nicht korrigierbare Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen verursacht wird.
2. Zur Zulässigkeit eines Teil-Urteils gegen einzelne von mehreren einfachen Streitgenossen auf Beklagtenseite in einem Arzthaftungs-Regressprozess.
3. Eine Interventionswirkung nach § 68 ZPO findet nicht statt, wenn der Folgeprozess in einen anderen Rechtsweg fällt.
4. Will ein Großklinikum nach verlorenem Arzthaftungsprozess die beteiligten angestellten Ärzte in Regress nehmen, so hat es im einzelnen darzulegen und zu beweisen, welche individuellen Pflichtverletzungen mit welchem Grad an Verschulden den einzelnen Ärzten vorzuwerfen sind.
5. In Anbetracht der Erfahrungstatsache, dass sich Arzthaftungsverfahren oft über sehr lange Zeiträume hinziehen, gehört es zu den Obliegenheiten eines Klinikbetreibers, der sich einen späteren Regress gegen seine Angestellten offen halten will, beizeiten die nötigen Beweissicherungsmaßnahmen zu treffen.
6. Es ist einem Arbeitgeber gemäß § 138 IV ZPO verwehrt sich gegenüber der eigenen Dienstplangestaltung mit Nichtwissen zu erklären, auch wenn die entsprechenden schriftlichen Unterlagen aufgrund langen Zeitablaufs zwischenzeitlich routinemäßig vernichtet wurden.
7. Die dem Patienten im Arzthaftungsprozess zukommenden Beweiserleichterungen hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität kommen der Klinik im Regressprozess gegen die handelnden Ärzte nicht zugute.
8. Zu den Anforderungen an die Annahme grober Fahrlässigkeit bei einem sich in der Facharztausbildung befindlichen Assistenzarzt.
Normenkette
BGB § 619a; BAT §§ 14, 70; LBG NRW § 84; ArbGG § 68; ZPO §§ 62, 68, 138 IV, §§ 160, 301, 538 II
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Teilurteil vom 20.02.2004; Aktenzeichen 9 (5) (6) Ca 3797/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 20.02.2004 in Sachen 9 (5) (6) Ca 3797/03 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht, nachdem sie einen Arzthaftungsprozess gegen eine ehemalige Patientin rechtkräftig verloren hat, gegen die Beklagten Regressansprüche unter dem Gesichtspunkt der Arbeitnehmerhaftung geltend.
Im Jahre 1987 war die damals 42-jährige R K aus H mit ihrem dritten Kind schwanger. Die Geburt des ersten Kindes lag zum damaligen Zeitpunkt 21 Jahre, die des zweiten Kindes 18 Jahre zurück. Als Geburtstermin für das dritte Kind war der 08.10.1987 errechnet. Die Schwangerschaft wurde zunächst von einer niedergelassenen Frauenärztin medizinisch begleitet und verlief bis zur 34. Schwangerschaftswoche im wesentlichen unauffällig. Aufgrund des Alters der Schwangeren, aufgrund des Umstands, dass die früheren Geburten bereits sehr lange zurücklagen und das zweite Kind überdies durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen war, und weil die Schwangere die Blutgruppe A 1 B rh negativ hatte, handelte es sich um eine sog. Risikoschwangerschaft.
Anfang September 1987 wurde die Schwangere wegen Verdachts einer Blutgruppenunverträglichkeit in die Frauenklinik der Klägerin aufgenommen. Dort wurde sie vom 04.09. bis 11.09.1987 stationär behandelt. Im Anschluss an die stationäre Behandlung wurden am 14.09. und 21.09.1987 in der Frauenklinik der Klägerin ambulante Untersuchungen vorgenommen. Nach einer Kontroll-Amniozentese am 21.09.1987 beschlossen die behandelnden Ärzte unter Beteiligung des leitenden Oberarztes Dr. F, eine natürliche Geburt anzustreben und die Schwangere zu weiteren CTG-Untersuchungen einzubestellen. Am 24.09.1987 wurde die Schwangere telefonisch gebeten, sich einer weiteren CTG-Untersuchung zu unterziehen.
Am Sonntag, dem 27.09.1987 fand sich die Schwangere in der Frauenklinik der Klägerin zur CTG-Untersuchung ein. Um 12.30 Uhr wurde eine erste CTG-Kontrolle vorgenommen. Als Ergebnis dieser CTG-Kontrolle wurde der Schwangeren nach den späteren Feststellungen der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler vom 07.09.1992, dort Seite 6 unten, „wegen tachycarder Herzfrequenz bei leicht eingeschränkter Oszillation im CTG die stationäre Aufnahme von Dr. F angeraten”. Das CTG wurde durch den aufnehmenden Arzt als suspekt eingestuft. Nach den späteren Feststellungen eines vom Landgericht Aachen eingeholten Fachgutachtens des Prof. Dr. G hätte das CTG von 12.30 Uhr jedoch richtigerweise bereits als pathologisch eingestuft und als Indikation zur sofortigen Einleitung einer Kaiserschnitt-Entbindung gewertet werden müssen.
Weitere CTG's von 16.30 Uhr und 18.40 Uhr zeigten keine Verbesserung der kindlichen Situation.
Gegen 19.15 Uhr wurde die CTG-Überwachung im Kreißsaal angeordnet, die gegen 23.45 Uhr unterbrochen wurde, weil sich die Patientin durch di...