Entscheidungsstichwort (Thema)
Parallelentscheidung zu LAG Köln 4 Sa 359/23 v. 11.07.2023
Leitsatz (amtlich)
Ermächtigt eine Betriebsvereinbarung den Arbeitgeber einseitig dazu, ein bereits erarbeitetes Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto zu verwenden, um dem Arbeitnehmer künftig weniger Schichten zuteilen zu müssen, verschiebt diese Regelung in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Arbeitnehmer, wenn der Arbeitnehmer nicht frei darüber entscheiden kann, ob und wieviele Schichten ihm zugeteilt werden.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3; BGB § 615 S. 3, § 611 Abs. 1, § 619
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 27.05.2022; Aktenzeichen 1 Ca 6873/21) |
Tenor
I)
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.05.2022 - 1 Ca 6873/21 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, eine Umbuchung des Zeitguthabens des Stundenkontos und des Feiertagskontos ohne Zustimmung des Klägers auf das Sollkonto vorzunehmen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II)
Es wird festgestellt, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Stundenkonto zum Stichtag 31.12.2022 insgesamt 453 Stunden beträgt.
III)
Es wird festgestellt, dass das Guthaben des Klägers auf seinem Feiertagskonto zum Stichtag 31.12.2022 insgesamt 176 Stunden beträgt.
IV)
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
V)
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die für den Kläger geführten Zeitkonten ohne dessen Zustimmung miteinander zu verrechnen.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.08.2015 im Bereich der Werksfeuerwehr in der Wachabteilung I als Oberfeuerwehrmann tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. der "Tarifvertrag für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen XXX GmbH vom 01.03.2012" (nachfolgend: "Tarifvertrag Feuerwehrpersonal") Anwendung.
§ 2 des Tarifvertrags Feuerwehrpersonal ("Arbeitszeit mit Opt-Out") lautet auszugsweise wie folgt:
"1) Die dienstliche Beanspruchung beträgt 240 Stunden im Monatsdurchschnitt. Der Alarm- und Einsatzdienst wird im 24-Stunden-Dienst geleistet. [...]
2) Nach einer Dienstschicht von 24 Stunden ist jeweils eine ununterbrochene Freizeit von 24 Stunden zu gewähren. Die planmäßige 24-Stunden-Schicht wird auf 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Arbeitsbereitschaft und 8 Stunden Ruhezeit an der Arbeitsstelle aufgeteilt. [...]
Protokollerklärunq zu Absatz 1 und 2: Die oberhalb der Arbeitszeit nach Absatz 1 liegenden Mehrschichten sind mit der Überstundenvergütung abzugelten. Die Überstundenvergütung beinhaltet das Tabellenentgelt und die Zulage nach § 8 Abs. 1 dieses Tarifvertrages. Eine Schicht entspricht 16 zu vergütenden Stunden."
Im Betrieb der Beklagten gilt des Weiteren eine "Betriebsvereinbarung 01/2013 über die Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen XXX GmbH" (nachfolgend: "BV Arbeitszeit"). Diese regelt auszugsweise:
"§ 4 Berechnung der Jahresarbeitszeit
Die Jahresarbeitszeit richtet sich nach dem jeweils gültigen Tarifvertrag (derzeit 120 Schichten abzgl. Wochenfeiertage, Vorfesttage, Rosenmontag und W-Tage). Jede geleistete Schicht schmälert das Jahressoll, das in einem Zeitkonto abgebildet wird.
[...]
Bei Ausscheiden eines Beschäftigten sind die Zeitkonten auszugleichen. Verbliebene Salden werden ausgezahlt, negative Salden werden vom Entgelt einbehalten.
Die Salden der Zeitkonten werden zum 31.12. automatisch ins Folgejahr übertragen [...]. [...]
Zusätzlich zu den Schichten geleistete Stunden werden auf einem separaten Konto, dem sogenannten Stundenkonto gutgeschrieben. Werden auf diesem Stundenkonto 16 Stunden angesammelt, können diese als eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden oder in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden.
§ 5 Freiwillige Dienste
Etwaige Ausfälle werden über den Einsatz von Freiwilligen kompensiert (Freiwilligen-Liste). Bei Aktivierung tritt der Freiwillige schnellstmöglich seinen Dienst an. Tritt ein Freiwilliger mit der entsprechenden Funktion den Dienst an, so werden ihm 16 + 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben.
§ 6 Verfügungsdienste
Zum Ausgleich von kurzfristigen Ausfällen wird ein täglicher Verfügungsdienst [1 Beschäftigter] eingeplant. Bei Aktivierung nimmt der Verfüger unverzüglich seinen Dienst auf. Wird der Verfüger nicht aktiviert, werden 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Bei Aktivierung werden ihm 16 + 1 Stunde auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Der Verfüger steht für die Flughafen XXX GmbH am diensthabenden Tag in der Zeit von 6:30 - 8:30 Uhr zur Verfügung. Wird er in dieser Zeit nicht in Anspruch genommen, so hat der Verfüger frei.
§ 7 Berechnung einzelner Dienste/Abwesenheiten
[...]
7.3 Tagesdienste
Tagesdienste werden in der Dienstplangestaltung nur in gerader Anzahl (2 Tagesdienste = eine 24-Stunden-Schicht (16 Stunden Arbeitszeit)) geplant; dies gilt auch für Dienstreisen und Lehrgänge...