Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsentgelt, Insolvenz, Masseunzulänglichkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Urlaubsanspruch ist ein Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, von den nach dem Arbeitsverhältnis entstehenden Arbeitspflichten befreit zu werden, ohne die übrigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts zu verändern (ständige Rechtsprechung BAG vom 08.09.1998 – 9 AZR 161/97 – DB 1999, 994; vom 19.04.1994 BB 1994, 1569).
2. Bei Urlaubsgewährung durch den Insolvenzverwalter liegt daher eine Inanspruchnahme (§ 209 Abs. 2 Nr. 3) der Gegenleistung des Arbeitsvertrages, der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, durch den Insolvenzverwalter nicht vor. Der Anspruch auf Urlaubsentgelt ist somit nicht eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 sondern lediglich eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
3. Für Leistungsklagen, mit denen Masseverbindlichkeiten i. S. d. §§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt werden, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Normenkette
InsO § 209 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Urteil vom 08.05.2003; Aktenzeichen 1 Ca 4080/02) |
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg – 1 Ca 4080/02 vom 08.05.2003 – wird abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
(gem. § 69 ArbGG)
Gegenstand des Rechtsstreits sind vom Kläger geltend gemachte Ansprüche auf Urlaubsentgelt für den Zeitraum 17. bis 31.05.1999.
Der Kläger war bei der Gemeinschuldnerin, der Firma D G bis einschließlich Mai 1999 beschäftigt.
Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde am 31.03.1999 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Kläger wurde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Beklagten beschäftigt, der dem Kläger sodann für die Zeit vom 17. bis 31.05.1999 Erholungsurlaub gewehrte.
Am 17.05.1999 zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an.
Für den Urlaubszeitraum macht der Kläger gegen den Beklagten das Urlaubsentgelt in rechnerisch unstreitiger Höhe von 807,20 EUR brutto geltend.
Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprechend den Beklagten zur Zahlung verurteilt und angenommen, der geltend gemachte Anspruch unterfalle § 209 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 InsO, so dass das Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO der Durchsetzbarkeit des Anspruchs nicht entgegenstehe.
Ergänzend wird auf die Begründung des Urteils erster Instanz Blatt 43 d. A. Bezug genommen.
Gegen dieses dem Beklagten am 31.07.2003 zugestellte Urteil erster Instanz wendet sich dessen Berufung vom 31.07.2003, die gleichzeitig unter dem 31.07.2003 begründet worden ist.
Die Berufung macht geltend, dass das Arbeitsgericht verkenne, dass § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO an die tatsächliche Inanspruchnahme der Gegenleistung, also der Arbeitskraft, anknüpfe. Bei der Gewährung von Erholungsurlaub handele es sich demgegenüber gerade nicht um eine „tatsächliche Inanspruchnahme” der Arbeitskraft. Vielmehr sei der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ein Freistellungsanspruch, der die Pflicht des Arbeitgeber zur Zahlung des Arbeitsentgelts nicht berühre. Habe der Beklagte also den Kläger durch Urlaubsgewährung von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt, so habe der Beklagte gleichzeitig die Gegenleistung des Klägers gerade nicht in Anspruch genommen. Daraus leite ab, dass der Anspruch auf Urlaubsentgelt § 209 Abs. 1 Nr. 3 unterfalle, so dass das aus § 210 InsO resultierende Vollstreckungsverbot nach angezeigter Masseunzulänglichkeit der Durchsetzbarkeit des geltend gemachten Anspruchs entgegenstehe. Die Klage erweise sich als unzulässig.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.05.2003 – 1 Ca 4080/02 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das Urteil erster Instanz und vertritt die Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Urteils, dass es sich bei dem Anspruch des Klägers auf Urlaubsentgelt um sog.
Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 InsO handele.
Wegen des sonstigen Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten sowie die gewechselten Schriftsätze beider Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 31.07.2003 zugestellte Urteil erster Instanz fristwahrend mit der am 31.07.2003 eingelegten und begründeten Berufung Rechtsmittel eingelegt.
Die Berufungsbegründung setzt sich im Einzelnen mit dem Urteil erster Instanz auseinander und erfüllt damit die formalen Voraussetzungen an ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel.
II. Die Berufung ist begründet.
Die Klage ist unzulässig.
Für Leistungsklagen, mit denen Masseverbindlichkeiten im Sinne der §§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt werden, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Nach § 210 InsO ist, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, die...