Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung der Standortsicherungsvereinbarung. Wirksamkeit der Kündigung trotz fehlerhafter Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auslegung der Standortsicherungsvereinbarung ergibt kein Kündigungsverbot.

2. Fehlerhafte Massenentlassungsanzeige führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (Anschluss an Hessisches LAG, Urteil vom 25.07.2011, 17 Sa 123/11; abweichend von LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.09.2010, 12 Sa 627/10 und vom 10.11.2010, 12 Sa 1321/10).

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, §§ 17, 23 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Siegburg (Entscheidung vom 17.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 1153/10)

 

Tenor

1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 17.03.2011

- 1 Ca 1153/10 - wird zurückgewiesen.

2) Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Änderungskündigung.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der chemischen Industrie, das an den Standorten P , B und T Fensterprofile produzierte. Der am 1950 geborene, verheiratete und 4 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 02.01.1980 in dem Betrieb der Beklagten in T im Produktionsbereich als Maschinenführer mit einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 2.767,64 € beschäftigt. Der Kläger ist mit einem Grad von 30 behindert und wurde mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 23.06.2009 mit Wirkung zum 20.04.2009 einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem Betrieb in T weit mehr als 10 Arbeitnehmer. In dem Betrieb in T bestand ein Betriebsrat. Im Unternehmen der Beklagten bestand zudem ein Gesamtbetriebsrat. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für die chemische Industrie Westdeutschland Anwendung.

Am 29.06.2005 schlossen die Beklagte, die Firma HT GmbH, der Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V., der Landesverband Chemische Industrie Rheinland-Pfalz e.V., der Landesausschuss der Arbeitgeberverbände Chemie NRW und der Arbeitgeberverband Nordost Chemie auf der einen und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, der Gesamtbetriebsrat der H GmbH die bei der Beklagten an den Standorten P , T und B gebildeten Betriebsräte sowie bei der p GmbH L gebildete Betriebsrat auf der anderen Seite eine "Standortsicherungsvereinbarung" (Bl. 9 ff d. Akte), in der es u.a. heißt:

"Standortgarantien:

Garantie der Existenz der Standorte P , T und B als Produktionsstandorte bis mindestens 31.12.2010.

Zusage, keine Produktionen ins Ausland zu verlagern:

Daraus ergibt sich, dass keine wesentlichen Produktionsverlagerungen ins Ausland erfolgen werden. Die heutigen Produktionsmengen werden aufrechterhalten, es werden jedoch zur Berücksichtigung des allgemeinen Marktrisikos geringfügige Sicherheitsabschläge vorgenommen.

(…)

Beschäftigungsgarantie:

Durch die Umsetzung des vereinbarten Tarifkonzepts werden mehr als 350 Arbeitsplätze erhalten, die ansonsten verloren gegangen wären.

(…)

Rahmenbedingungen:

Bei den Zusagen geht das Unternehmen von einem Umfeld aus, in dem keine größeren Verwerfungen stattfinden, wie z.B. eine Verknappung wichtiger Rohstoffe mit drastischen Preisanstiegen.

(…)

Werden die Zusagen aus dieser Vereinbarung nicht eingehalten, werden die Vertragsparteien unverzüglich Gespräche über geeignete Maßnahmen zur Einhaltung oder zur Anpassung dieser Vereinbarung aufnehmen. Wird hierüber binnen angemessener Frist keine Einigung erzielt, können die gesamten am 29. Juni 2005 geschlossenen Tarifverträge mit einer Frist von drei Monaten zum Kalenderhalbjahr gekündigt werden. Für diesen Fall wirken sie nicht nach, sondern es gelten sodann die am 30. Juni 2005 gültigen Tarifverträge sowie mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen."

Unter dem 27.10.2009 erstattete die Beklagte bei der Agentur für Arbeit in Bo eine Massenentlassungsanzeige. Wegen der Einzelheiten der Massenentlassungsanzeige wird auf die als Anlage B 7 zur Akte gereichte Kopie (Bl. 186 ff d. A.) Bezug genommen.

Am 16.12.2009 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat in T einen Sozialplan (Bl. 67 ff d. A.). Mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbarte die Beklagte am 17.12.2009 einen Interessenausgleich (Bl. 61 ff d. A.), der u.a. Folgendes bestimmt:

"§ 1

Gegenstand

Die Produktion, alle administrativ produktionsunterstützenden Bereiche (Werkscontrolling, Betreuung der Abrechnung für die gewerblichen Mitarbeiter, IT-Unterstützung) sowie die Abteilung Fensterbau und QM und die Logistik werden am Standort in T eingestellt. Die Produktion, Logistik und QM werden an die Standorte P und B verlagert. Die Abteilung Fensterbau wird am Standort in P zentralisiert. Die administrativ produktionsunterstützenden Bereiche werden ohne Aufbau an den anderen Standorten in T stillgelegt. Nicht von der Stilllegung betroffen ist die Zentralverwaltung, die weiterhin am Standort in T bzw. in ein...

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