Entscheidungsstichwort (Thema)
Äußerung eines Abkehrwillens durch den Arbeitnehmer in der Vergangenheit. Beweiswert einer während der Kündigungsfrist vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Hat der Arbeitnehmer in der Vergangenheit einen Abkehrwillen geäußert, dann erschüttert dies nicht den Beweiswert einer während der Kündigungsfrist vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Normenkette
BGB § 615; KSchG § 11
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 12.05.2023; Aktenzeichen 7 Ca 2191/22) |
ArbG Aachen (Entscheidung vom 26.01.2023; Aktenzeichen 7 Ca 2191/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtsgerichts Aachen vom 26.01.2023 - 7 Ca 2191/22 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Hauptforderung im Tenor zu 2) ab Rechtshängigkeit, dem 16.09.2022, zu verzinsen ist.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und um Entgeltansprüche.
Der Kläger ist seit dem 15.03.2021 bei der Beklagten als Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik beschäftigt. Vereinbarungsgemäß erhielt er zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.325,62 € brutto. Die beklagte Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit den Beklagten zu 2 und 3 als Gesellschafter betreibt ein Unternehmen, das sich mit Leistungen im Bauwesen befasst. Sie beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Mit zwei Schreiben vom 17.08.2022, die dem Kläger am 19.08.2022 zugegangen sind, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich. Die jeweils hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung wurde mit dem einen Schreiben zum 17.08.2022 ausgesprochen und mit dem anderen Schreiben zum 17.09.2022.
Der Kläger hatte am Abend des 16.08.2022 alle zum Fahrzeug und zur Baustelle gehörenden Unterlagen in den Briefkasten des Firmengebäudes eingeworfen. Am nächsten Tag, dem 17.08.2022, meldete er sich bei der Beklagten krank und am darauffolgenden Tag, dem 18.08.2023, also dem Tag vor Zugang der Kündigungsschreiben, legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 31.08.2022 vor.
Mit der seit dem 07.09.2023 beim Arbeitsgericht Aachen anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, die beiden Kündigungsschreiben hätten das Arbeitsverhältnis nach seiner Auffassung nicht beenden können. Auch stehe ihm zumindest die Vergütung für die Zeit bis zum 19.08.2022 (dem Tag des Zugangs der fristlosen Kündigung) i.H.v. 1.472,89 € brutto zu. Er sei bereits am 16.08.2022 aus Krankheitsgründen arbeitsunfähig gewesen und habe vorgehabt, am nächsten Tag zum Arzt zu gehen. Er habe alle zum Fahrzeug und zur Baustelle gehörenden Materialien in den Briefkasten des Firmengebäudes eingelegt. Dies sei mit der Absicht geschehen, den Zugriff auf all diese Sachen für den nächsten Tag zu gewährleisten, wenn er - wie absehbar - am nächsten Tag krankgeschrieben werde.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung vom 17.08.2022, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 17.08.2022, beides zugestellt am 19.08.2022, aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht;
- die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, am ihn 1.472,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Verteidigung gegen die Klage hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe dem Zeugen M gegenüber geäußert, er sei "sofort weg", wenn er ein gutes Angebot bekomme; er wolle nicht mehr im Betrieb der Beklagten arbeiten. Aufgrund der Arbeitsniederlegung am 16.08.2022 sei sodann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt worden. Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestehe nicht. Der Kläger habe lediglich bis zum 05.08.2022 seine Stundenzettel vorgelegt. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, ob er im Monat August in der Zeit, für die keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliege, überhaupt gearbeitet habe.
Das Arbeitsgericht Aachen hat mit Urteil vom 26.01.2023 - 7 Ca 2191/22 - der Klage stattgegeben, also festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die beiden Kündigungsschreiben nicht beendet worden sei und dass die Beklagte verpflichtet sei, an den Kläger das vertraglich geschuldete Entgelt jedenfalls für die Zeit bis zum Zugang der Kündigungsschreiben zu zahlen. In Fällen wie dem vorliegenden komme eine wirksame Kündigung nur dann in Betracht, wenn die Nichtleistung der Arbeit rechtswidrig und insbesondere beharrlich sei. Diese Beharrlichkeit bzw. die Nachhaltigkeit könne in der Regel nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin durch eine Abmahnung gewarnt worden sei und dennoch weiter die Arbeit verweigere. Hinzukomme hier, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit für die Nichtleistung der ...