Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns
Leitsatz (redaktionell)
Eine Verhandlungssituation ist erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1, § 123 Abs. 1 Alt. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 28.07.2023; Aktenzeichen 4 Ca 674/23) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 28.07.2023 - 4 Ca 674/23 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags vom 10.02.2023.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Süßwarenindustrie mit Sitz in A. Sie beschäftigt rund 3.500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist eingerichtet.
Der am 1968 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten seit dem 02.09.2013 beschäftigt, zuletzt auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 31.01.2015 (Bl. 11 ff. der erstinstanzlichen Akte) als gewerblicher Arbeitnehmer im Bereich Produktion und Logistik zu einem tariflichen Bruttomonatsentgelt von aktuell 3.527,95 EUR nebst Zulagen. Das durchschnittlich von dem Kläger bezogene Monatsentgelt betrug zuletzt 4.139,00 EUR. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die tariflichen Bestimmungen der Süßwarenindustrie in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.
Im August 2022 kam es zu einer Beschwerde einer Mitarbeiterin über den Kläger im Zusammenhang mit einem von ihr als übergriffig empfundenen Verhalten des Klägers bei der Abteilungsleiterin, Frau K. Der Kläger legt dar, es habe sich insoweit um eine Reaktion auf ein von ihm als "schöne Augen machen" empfundenes Verhalten der Kollegin gehandelt. Frau K, bat den Kläger daraufhin zu sich ins Büro, ermahnte ihn mündlich und wies darauf hin, dass, so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommen solle.
Am 13.01.2023 fand zwischen dem Kläger und einer Mitarbeiterin der Beklagten, Frau De W, im Rahmen einer Mediation (Team-Training) ein Einzelgespräch statt. Am Ende des Gesprächstermins äußerte der Kläger gegenüber Frau De W, dass sie wunderschöne Augen habe und umarmte diese. Das Verhalten des Klägers in den weiteren Einzelheiten ist zwischen den Parteien streitig.
Die Arbeitnehmerin Frau De W wandte sich am 26.01.2023 an die Personalabteilung der Beklagten und beschwerte sich über den Kläger und dessen Verhalten. Sie schilderte in der Folge, dass der Kläger sie mit der Hand festgehalten und sie an sich herangezogen habe, so dass sie sich aus dem Griff nicht habe befreien können. Zusätzlich habe der Kläger sie an der Schulter festgehalten und habe mit dem Gesicht ihre Wange berührt und ihr ins Ohr geflüstert, dass sie wunderschöne Augen habe.
Der Kläger erlitt am 31.01.2023 einen Arbeits-/Wegeunfall, wurde im Nachgang am Knie operiert und war in der Folgezeit arbeitsunfähig erkrankt.
Die Beklagte bat den Kläger in den darauffolgenden Tagen für Donnerstag, den 09.02.2023 um 09.00 Uhr zu einem Personalgespräch in den Betrieb, mit der Begründung, man wolle über das weitere Vorgehen bezüglich des Einsatzes des Klägers im Unternehmen zu sprechen. An dem Personalgespräch nahmen der Kläger, die Mitarbeiterin der Personalabteilung Frau L, der Abteilungsleiter Team-Training Herr S, der Abteilungsleiter des Klägers Herr Kr und das Betriebsratsmitglied Herr M teil. Im Rahmen des Gespräches wurde der Kläger zu den Vorwürfen eines grenzüberschreitenden Verhaltens gegenüber einer Mitarbeiterin im August 2022 sowie gegenüber Frau De W angehört. Der Kläger äußerte im Hinblick auf den Vorfall mit Frau De W, dass er ihr ein Kompliment gemacht und gefragt habe, ob er sie umarmen dürfe. Da Frau De W dies nicht ausdrücklich verneint habe, habe er sie sodann umarmt.
Am Freitag, den 10.02.2023 wurde der Kläger erneut in den Betrieb zu einem Personalgespräch gebeten. Bei dem Gespräch waren neben dem Kläger die Mitarbeiterin der Personalabteilung Frau L, die Abteilungsleiterin Frau K und das Betriebsratsmitglied Herrn J zugegen. Die Vertreterin der Beklagten, Frau L, teilte dem Kläger mit, dass eine weitere Zusammenarbeit aus Sicht der Beklagten ausscheide. Sie bot dem Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit Wirkung zum 31.05.2023 an und teilte ihm mit, dass er, falls kein Aufhebungsvertrag zustande komme, am darauffolgenden Montag fristlos gekündigt werde. Das Betriebsratsmitglied Herr J riet dem Kläger dazu, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Der Kläger unterzeichnete sodann einen von der Beklagten vorformulierten und auf den 09.02.2023 datierten Aufhebungsvertrag (Bl. 17 der erstinstanzlichen Akte), der im Wesentlichen eine einvernehml...