Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit des Widerrufs insolvenzgeschützter Betriebsrentenansprüche wegen wirtschaftlicher Notlage durch den Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Nach der Abschaffung des Sicherungsfalls des Widerrufs einer Pensionszusage wegen wirtschaftlicher Notlage in § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG a. F. im Zusammenhang mit der gesetzgeberischen Neugestaltung des Insolvenzrechts 1999 ist ein in der Versorgungsordnung ausdrücklich vorgesehener Widerruf einer Betriebsrentenzusage wegen wirtschaftlicher Notlage - auch sofern die Zusage nur teilweise widerrufen wird - nicht mehr zulässig (wie BAG, Urteil vom 17.06.2003,3 AZR 396/02).
2. Auch für ältere Versorgungsordnungen aus der Zeit vor der Gesetzesänderung gibt es kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage, da lediglich eine zulässige unechte Rückwirkung vorliegt (wie BVerfG, Beschluss vom 29.02.2012, 1 BvR 2378/10).
Normenkette
BetrAVG § 7; BGB § 313
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 24.11.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1958/15) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.11.2015 - 6 Ca 1958/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Betriebsrenten-Kürzung und die zutreffende Höhe des Betriebsrenten-Anspruchs.
Die Beklagte ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen, welches sich u. a. mit der Herstellung und dem Vertrieb von Reinigungsmitteln befasst und auf eine ca. achtzigjährige Firmengeschichte zurückblicken kann. Zuletzt waren bei der Beklagten lediglich noch ca. 20 aktive Arbeiternehmer beschäftigt, denen ca. 31 Betriebsrentenempfänger gegenüberstehen.
Bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der C -R -K -G , gilt seit dem 01.01.1963 eine Versorgungsordnung, die Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung aufgrund einer ausschließlich arbeitgeberfinanzierten Direktzusage vorsieht. Der Rentenanspruch setzt sich aus einer Grundrente und ggf. einer weiteren Zusatzrente zusammen.
Hinsichtlich der in der Versorgungsordnung 1963 geregelten Grundrente (Altersrente) bestimmt Ziffer III. a der Versorgungsordnung unter der Überschrift
"Umfang der Versorgungsleistungen":
"a) Altersrente
(...)
(Abs. 2)
Die Altersrente beträgt 50 % der Altersrente der Invaliden- oder Angestelltenversicherung, vermindert um 1 % für jedes Jahr, das der Betriebsangehörige bei Eintritt in die Firma älter als 20 Jahre war; die Altersrente beträgt mindestens 0,6 % des Bruttoeinkommens des letzten Dienstjahres für jedes bei der Firma zurückgelegte Dienstjahr. Als Bruttoeinkommen gilt höchstens die Beitragsbemessungsgrenze der Invaliden-Angestelltenversicherung."
Unter Punkt V. "Allgemeine Bestimmungen" der Versorgungsordnung lautet Unterpunkt V. c):
"c) Vorbehaltsklausel
Die Firma behält sich vor, die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die bei Erteilung der Pensionszusage maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, dass der Firma die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Beachtung der Belange des Pensionsberechtigten nicht mehr zugemutet werden kann.
Dies gilt insbesondere dann, wenn
1.
Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sich nachhaltig so wesentlich verschlechtert hat, dass ihm eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann,
oder
2.
(...)
3.
(...)
4.
der Pensionsberechtigte Handlungen begeht, die in grober Weise gegen Treu und Glauben verstoßen oder zu einer fristlosen Entlassung berechtigen würden."
Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Versorgungsordnung Bezug genommen.
Der am 27.06.1929 geborene und am 31.07.2006 verstorbene Ehemann der Klägerin war langjährig bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Betriebsleiter. Er erhielt von der Beklagten eine Versorgungszusage gemäß o. g. Versorgungsordnung sowie eine zusätzliche betriebsübliche Altersversorgung für leitende Angestellte. Ab August 2005 zahlte die Beklagte an die Klägerin Hinterbliebenenversorgung. Diese berechnete die Beklagte wie folgt: Versorgungsbezug 399,51 Euro zuzüglich Zusatzversorgungsbezug 102,26 Euro.
Zur Höhe der Witwenrente regelt Ziffer III c) der Versorgungsordnung:
"Die Witwenrente beträgt 60 Prozent der Mannesrente, die der verstorbene Ehemann bezogen hat bzw. bezogen haben würde, wenn er im Zeitpunkt des Todes erwerbsunfähig geworden wäre".
Im Jahr 2014 erhielt die Klägerin von der Beklagten insgesamt Versorgungsbezüge in Höhe von 6.073,92 Euro. Hiervon entfiel auf die Zusatzversorgung ein Betrag in Höhe von 1.227,12 Euro.
Mit Schreiben vom 31.03.2015 erklärte die Beklagte gegenüber den Betriebsrentnern, darunter der Klägerseite, sie mache von dem in der Versorgungsordnung vorgesehenen Widerrufsrecht wegen wirtschaftlicher Notlage Gebrauch. Da sie wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sei, die Betriebsrenten vollständig zu zahlen, kürze sie ab einschließlich März 2015 die Grundrente um 25 Prozent und die Zusat...