Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Berufungsbegründung bei mehreren Streitgegenständen. Soziale Rechtfertigung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer angestellten Architektin
Leitsatz (amtlich)
Betrifft das erstinstanzliche Urteil mehrere Streitgegenstände, muss für jeden Streitgegenstand eine gesonderte Berufungsbegründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig.
Da ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers, der sich mit seiner Berufung vorrangig gegen die Stattgabe der Kündigungsschutzklage und nachrangig gegen die Zurückweisung des Auflösungsantrags wendet, einen eigenen Streitgegenstand darstellt, der nicht notwendig von der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag abhängt, bedarf es insoweit einer eigenständigen Berufungsbegründung.
Allein die tatsächliche Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung besagt nichts über die Berechtigung der entsprechenden Prognose im Kündigungszeitpunkt.
Den Arbeitgeber trifft im Rahmen des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob und in welcher Höhe anrechenbare Bezüge den Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortzahlung seiner Vergütung während der Zeit des Annahmeverzuges mindern.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; KSchG §§ 1, 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 02.12.2015; Aktenzeichen 9 Ca 1636/15) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 2. Dezember 2015 - 9 Ca 1636/15 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgerechte Kündigung vom 11.02.2015 nicht beendet worden ist.
- Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2016, als Architektin in Vollzeit weiter zu beschäftigen.
- Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.400,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 6.078,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.464,40 Euro vom 1. Mai 2015 bis zum 31. Mai 2015, aus 2.928,80 Euro vom 1. Juni 2015 bis zum 30. Juni 2015, aus 4.393,20 Euro vom 1. Juli bis zum 31. Juli 2015, aus 5.857,60 Euro vom 1. August bis zum 31. August 2015 und aus 7.322,00 Euro seit dem 1. September 2015 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristgerechte weitere Kündigung vom 10. September 2015 nicht beendet worden ist.
- Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.350,00 Euro brutto abzüglich 1.215,60 Euro Arbeitslosengeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2015 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Der Auflösungsantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.
II.
Der weitere Auflösungsantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen, über Annahmeverzugslohnansprüche, einen Weiterbeschäftigungsantrag sowie den Erfolg zweier Auflösungsanträge der Beklagten. Erstinstanzlich stritten sie auch über einen hilfsweise gestellten Wiedereinstellungsantrag der Klägerin.
Die am 1971 geborene, ledige Klägerin ist seit dem 15. März 2011 bei dem Beklagten, der regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt, als Architektin bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 3.350,00 Euro beschäftigt. Am 23. Januar 2015 erklärte der Beklagte der Klägerin, deren Mutter in die Pflegestufe II eingestuft ist, dass es erforderlich sei, sie betriebsbedingt zu kündigen. Am 2. Februar 2015 bat die Klägerin die Mitarbeiterin P -H des Beklagten, noch kein Kündigungsschreiben auszufertigen bzw. dieses zurückzuhalten, da sie, die Klägerin, zuvor noch ein Gespräch mit dem Beklagten führen wolle. Dieses Gespräch, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist, kam auf Vermittlung von Frau P -H am 9. Februar 2015 zustande.
Am 11. Februar 2015 übergab Frau P -H den bei dem Beklagten beschäftigten Architekten B , E und W jeweils ein auf den 11. Februar 2015 datiertes Kündigungsschreiben. An diesem Tag gegen 12 Uhr beabsichtigte Frau P -H , der Klägerin ein Kündigungsschreiben zu übergeben und sie zu bitten, den Erhalt der Kündigung auf einer Kopie zu quittieren. Zu diesem Zweck suchte Frau P -H die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz auf, wobei sie das Kündigungsschreiben in einem nicht verschlossenen Umschlag sowie eine Kopie des Kündigungsschreibens mit sich führte und die Klägerin bat, den Erhalt des Kündigungsschreibens zu quittieren. Die Klägerin entgegnete, dass sie den Erhalt des Schreibens nicht quittieren wolle, weil sie nochmals mit dem Beklagten zu sprechen wünsche. Frau P -H erklärte sich bereit, das Ergebnis dieses Gespräc...