Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtlicher Charakter einer Abfindungszahlung. Forderung aus unerlaubter Handlung kein Gegenstand des Abfindungsvergleichs. Kein Vollstreckungsprivileg für Abfindungszahlungen. Unbeachtlichkeit einer Täuschung für Charakter der Abfindung
Leitsatz (amtlich)
Vereinbaren die Parteien in einem Kündigungsschutzprozess eine Abfindung, handelt es sich dabei nicht um eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, die unter das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO fällt. Der rechtliche Charakter des Abfindungsanspruchs ändert sich auch dann nicht, wenn der Schuldner bei Abschluss des Vergleichs über seine Zahlungsfähigkeit bzw. Zahlungswilligkeit getäuscht hat. Zwar kann sich aus einem Eingehungsbetrug ein Schadensersatzanspruch ergeben; dieser beruht jedoch auf einem anderen Rechtsgrund als der Erfüllungsanspruch auf Zahlung der Abfindung.
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 1, § 850f Abs. 2, § 850c; BGB § 823; InsO § 302 Nr. 1; KSchG §§ 9-10; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 07.04.2021; Aktenzeichen 11 Ca 405/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 07.04.2021 - 11 Ca 405/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob Ansprüche aus einem zur Beendigung eines Kündigungsschutzverfahrens geschlossenen Prozessvergleich auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhen.
Der Kläger nahm Ende 2003 bei dem Beklagten, der seinerzeit einen Pflegedienst mit rund 30 Arbeitnehmern betrieb, eine Beschäftigung als Pfleger auf. Ende 2006 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich. Die Parteien führten daraufhin einen Kündigungsschutzprozess bei dem Arbeitsgericht Neubrandenburg (Aktenzeichen 3 Ca 1452/06). Am 15.05.2007 meldete der Beklagte sein Gewerbe ab und gab die eidesstattliche Versicherung (§ 807 ZPO a. F.) ab. In dem o. g. Rechtsstreit schlossen die Parteien am 23.08.2007 einen gerichtlichen Vergleich, in dem es u. a. heißt:
"...
1.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auf Grund arbeitgeberseitiger Kündigung mit dem 30.11.2006 beendet worden.
2.
Der Beklagte zahlt an den Kläger in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 4.500,00 € netto.
3.
Der Beklagte zahlt an den Kläger die noch offene Vergütung für den Monat Oktober 2006 in Höhe von 1.590,52 € und für den Monat November 2006 in Höhe von 1.570,52 € und für den Monat August und September 2006 von insgesamt 438,64 €.
Der Gesamtbetrag von 8.099,68 € netto (zu 2. und 3. des Vergleichs) werden von dem Beklagten bis spätestens 15.09.2007 an den Kläger gezahlt. Sollte der Beklagte mehr als eine Woche in Verzug geraten, erhöht sich die Abfindungssumme auf 6.500,00 € netto. Die Gesamtforderung des Klägers erhöht sich in diesem Fall auf 10.099,68 € netto.
..."
Da der Beklagte auf den gerichtlichen Vergleich keine Zahlung leistete, erstattete der Kläger am 20.11.2007 bei der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg Strafanzeige gegen den Beklagten wegen Betrugs. Das Amtsgericht Neubrandenburg (Aktenzeichen 1 DS 306/08) stellte das Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage von € 1.000,00 ein, die an den Kläger zu zahlen war. Der Kläger erhielt diesen Betrag von einem Dritten in Raten.
Auf Antrag des Klägers zahlte die Bundesagentur für Arbeit auf die in dem Vergleich titulierten Lohnansprüche Insolvenzgeld, woraufhin das Arbeitsgericht Neubrandenburg der Bundesagentur am 03.02.2009 eine Teilrechtsnachfolgeklausel über die Forderung in Höhe von € 3.599,68 erteilte.
In einem weiteren Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Neubrandenburg (Aktenzeichen 4 Ca 791/14) verurteilte das Gericht den Beklagten durch Versäumnisurteil vom 22.09.2014, an den Kläger Zinsen in Höhe von € 1.803,25 für den Zeitraum vom 25.02.2009 bis zum 28.08.2014 sowie ab dem 29.08.2014 Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag von € 6.450,87 zu zahlen.
Im Jahr 2015 beantragte der Beklagte beim Amtsgericht Neubrandenburg (Aktenzeichen 702 IN 466/15) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. In dem Insolvenzverfahren wurden Forderungen von rund einer halben Million Euro angemeldet. Die Restschuldbefreiung wurde dem Beklagten auf Betreiben des Klägers versagt.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Forderungen aus dem Vergleich vom 23.08.2007 und aus dem Versäumnisurteil von 22.09.2014 solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung seien. Es handele sich um einen Eingehungsbetrug zulasten des Klägers. Der Beklagte habe den Kläger bei Abschluss des Vergleiches über seine Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit getäuscht. Infolge dieses Irrtums habe der Kläger einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Vergleichswege zugestimmt. Dadurch habe er einen Schaden erlitten, da der Beklagte die Forderungen aus dem Vergleich nicht erfüllt habe.
Das Arbeit...