Entscheidungsstichwort (Thema)

Gestufte Darlegungslast des Arbeitgebers bei nachträglichem Bestreiten des Saldos des Arbeitszeitguthabens des Arbeitnehmers. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für Überstundenvergütung aufgrund selbst gefertigter Arbeitszeitaufstellungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Führt der Arbeitgeber für den einzelnen Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto und weist er vorbehaltlos eine bestimmte Anzahl von Guthabenstunden aus, stellt er damit den Saldo des Kontos streitlos. Will der Arbeitgeber im Nachhinein den sich aus dem Arbeitszeitkonto zugunsten des Arbeitnehmers ergebenden Saldo erheblich bestreiten, obliegt es ihm ausgehend von einer gestuften Darlegungslast, im Einzelnen darzulegen, aufgrund welcher Umstände der ausgewiesene Saldo unzutreffend sei oder sich bis zur vereinbarten Schließung des Arbeitszeitkontos reduziert habe.

2. Diese Grundsätze gelten nicht, wenn sich der Arbeitnehmer zur Begründung seines Anspruchs auf selbst gefertigte Arbeitszeitaufstellungen beruft, die sich der Arbeitgeber nicht zu eigen gemacht hat. In diesem Fall sind zunächst vom Arbeitnehmer die den behaupteten Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen. Die Darlegungslast richtet sich nach den für einen Überstundenprozess geltenden Maßstäben.

 

Normenkette

BGB § 611a Abs. 2, § 612 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 31.01.2019; Aktenzeichen 2 Ca 1267/18)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 31.01.2019 - 2 Ca 1267/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Vergütung für Überstunden.

Die im Januar 1984 geborene Klägerin nahm am 01.11.2016 bei der Beklagten eine Beschäftigung als Buchhalterin auf. Die Parteien vereinbarten eine monatliche Vergütung von € 2.100,- brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Ausweislich des Arbeitsvertrages vom 24.10.2016 richten sich Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nach der Übung des Betriebs. Der Arbeitsvertrag enthält die Verpflichtung, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen Mehrarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Montagearbeit zu leisten.

Die Beklagte zeichnet die Arbeitszeit der Beschäftigten mithilfe des elektronischen Zeiterfassungssystems "ZEIT-Plus für Windows" auf. Es sind mehrere Terminals angebracht, in denen die Arbeitnehmer ihr Kommen und Gehen sowie die Pausen registrieren. Verkauf und Büro sind montags bis donnerstags von 07:30 bis 16:00 Uhr und am Freitag von 07:30 bis 14:00 Uhr für Kunden geöffnet. Die Büromitarbeiter sind gehalten, ihre Mittagspause von 12:00 bis 12:30 Uhr (Essensgruppe 1) bzw. von 12:30 bis 13:00 Uhr (Essensgruppe 2) zu nehmen. Die Klägerin war der Essensgruppe 1 zugeordnet.

Die Verwaltung des Zeiterfassungssystems oblag der Klägerin, einschließlich der von ihr geleisteten Arbeitszeiten. Aufgrund ihres Administratorzugangs konnte sie u. a. Zeiten nachtragen, wie z. B. Urlaub, Krankheit, Feiertage etc. Die Klägerin verließ das Bürogebäude etwa viermal täglich, um in dem dafür vorgesehenen Außenbereich zu rauchen. Diese Raucherpausen registrierte sie nicht im Zeiterfassungssystem.

Mit Schreiben vom 25.04.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Die Klägerin war im Anschluss daran arbeitsunfähig.

Die Parteien schlossen am 09.07.2018 einen gerichtlichen Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung am 31.05.2018 endete, die Beklagte das Arbeitsverhältnis vom Tag der Kündigung bis zum Beendigungstermin ordnungsgemäß abrechnet, Steuern und Beiträge abführt und für diesen Abrechnungszeitraum noch einen Nettobetrag von € 1.000,- an die Klägerin auszahlt.

Mit Schreiben vom 21.08.2018 forderte die Klägerin von der Beklagten eine Mehrarbeitsvergütung für den Zeitraum November 2016 bis Februar 2018 im Umfang von insgesamt 276,25 Stunden und verwies auf einen Ausdruck des elektronischen Zeiterfassungssystems, der mit "Überstunden-Freizeitkonto" überschrieben ist.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass ihr Überstunden-Freizeitkonto im Februar 2018 ein aufsummiertes Guthaben von 276,25 Stunden aufgewiesen habe, das von der Beklagten zu vergüten sei. Bei einem Bruttogehalt von € 2.100,- ergebe sich ein Stundenlohn von € 12,39. Die Beklagte führe für jeden Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto. Dieses Konto diene dazu, Mehrarbeit und Freizeitausgleichsansprüche festzustellen. Die Beklagte könne sich nicht darauf zurückziehen, die Überstunden nicht angeordnet zu haben. Feste Arbeitszeiten habe es nicht gegeben.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 3.353,32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Klägerin keine Mehrarbeitsvergütung beanspruchen könne. Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt Überstunden angeordnet. Vielmehr habe...

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